Pro Wehrpflicht: Eine gegenwärtige Notwendigkeit

Flora Felix

Als Sozialistische Jugend verstehen wir uns ganz klar als antimilitaristische Organisation, eine Verteidigung der Wehrpflicht zu lesen mag daher ein wenig überraschend wirken. Doch gerade aus einer österreichischen Perspektive ist die (vorläufige) Beibehaltung der Wehrpflicht eine durchaus legitime Forderung - auch von Links. Dies ergibt sich aus dem besonderen politischen und historischen Spannungsfeld, in welchem sich Österreich als “immerwährend neutraler” Staat mit einer Geschichte geprägt von zwei Faschismen im 20. Jahrhundert befindet.

Gerade der Bürger*innenkrieg im Februar 1934 stellt einen zentralen Aspekt in einer Argumentation für eine Wehrpflicht dar. Damals schossen Soldaten des Bundesheers auf Arbeiter*innen, welche sich gegen den aufkommenden Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuß zu wehren versuchten. Diese Ereignisse haben bis heute nicht nur einen festen Platz in der Bildungsarbeit unserer Organisation, sondern sind auch zentraler Ausgangspunkt für zahlreiche politische Ableitungen für uns als Sozialistische Jugend. Das Dollfuß-Regime hatte das Bundesheer fest in seine Hand gebracht und somit leichtes Spiel, dieses gegen die sich wehrenden Arbeiter*innen einzusetzen. Eine Wehrpflicht, verbunden mit einem ausgeprägten Milizsystem, soll einer neuerlichen Situation wie jener im Jahr 1934 insofern entgegenwirken, als Menschen das staatliche Gewaltmonopol ausüben, welche eben nicht Tag ein und Tag aus in Kasernen ein- und ausgehen und damit in den militärischen Strukturen fest verankert sind. Denn nur einige Jahre zuvor, im Juli 1927, hatte sich die konservative Bundesregierung geweigert, das Heer gegen protestierende Arbeiter*innen einzusetzen - es war der Regierung schlicht “zu rot” und sie fürchtete Befehlsverweigerung. Es soll auch das Entstehen von "Parallelgesellschaften" im Heer vermieden werden, aber auch die Bereitschaft, eben auf Menschen “wie Du und ich” zu schießen. Denn wer selbst Teil der Gesellschaft ist, wird weniger schnell auf Menschen wie seinen Nachbarn schießen.

“Die Durchmischung im Bundesheer soll jedoch auch den Zweck erfüllen, dass nicht nur Menschen Soldaten werden, welche bereits vorweg ein Faible für autoritäre Strukturen und Gewaltanwendung haben. ”

Die Durchmischung im Bundesheer soll jedoch auch den Zweck erfüllen, dass nicht nur Menschen Soldaten werden, welche bereits vorweg ein Faible für autoritäre Strukturen und Gewaltanwendung haben. Hier seien insbesondere rechtsextreme Netzwerke angesprochen, welche weniger leicht entstehen können, wenn Rechtsextreme nicht unter sich sind, sondern regelmäßig mit Menschen aus anderen Realitäten konfrontiert werden. Eine Wehrpflicht alleine wird das Entstehen rechtsextremer Netzwerke im bewaffneten Wehrkörper nicht verhindern können - man denke etwa an die Verbindungen des Deutschen Franco A. mit Österreich -, es ist auch gleichzeitig nötig, das Bewusstsein für derartige Umtriebe sowohl in der Gesamtgesellschaft als auch im Heer auszubauen. Dafür ist es auch bspw. notwendig, eine Meldestelle für Rechtsextremismus im Heer aufzubauen. 

Natürlich werden bloße Reformen das Heer nicht zu einem besseren Ort machen, langfristig muss eine sozialistische Perspektive in der Abschaffung des Heeres liegen. Doch das wird nicht von heute auf morgen passieren - und so ist es vom Status Quo ausgehend wichtig, eine gewisse Durchmischung im Heer herzustellen. Durch die Möglichkeit, den Dienst an der Waffe zu verweigern werden wohl nicht unbedingt jede Menge Linke ins Heer strömen - das ist auch gar nicht der Zweck einer Wehrpflicht und die Möglichkeit zum Zivildienst soll auch weiterhin bestehen, schließlich hat unter anderem die Sozialistische Jugend diese erkämpft. Doch selbst wenn Leute Teil des Heerkörpers werden, welche nicht aus rechtsextremen Gruppierungen und Ideologien kommen, dient dies dem Aufbrechen rechtsextremer Netzwerke. So stieg etwa in Deutschland die Zahl der gemeldeten rechtsextremen Verdachtsfälle in der Bundeswehr an - Deutschland hat seit 2011 keine Wehrpflicht mehr.

Gleichzeitig führt eine Wehrpflicht - verbunden mit einem Milizsystem - dazu, dass im Bundesheer nicht nur Menschen arbeiten, deren Einkommen, und damit deren ökonomische Existenz, von der Befolgung von Befehlen abhängt. Denn wenn das eigene Einkommen bei einer Befehlsverweigerung gefährdet ist, so werden sich Soldaten öfter überlegen, ob sie wirklich Befehle verweigern, als wenn Menschen mit anderen Berufen Teil der Miliz sind, welche somit ihr Einkommen aus einer anderen Quelle als dem Bundesheer beziehen.

Schließlich ist an dieser Stelle auch die besondere Situation in Österreich hervorzuheben. Österreichs “immerwährende Neutralität” beinhaltet nicht nur die Verpflichtung, sich nicht an kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Dritten zu beteiligen, sondern auch alles zu unterlassen, was zu einer Involvierung in einem künftigen Konflikt führen könnte. Anders als etwa im NATO-Staat Deutschland, beläuft sich Österreichs Engagement im Rahmen von UN- und EU-Missionen auf Friedenssicherung, humanitäre Einsätze und Katastrophenhilfe. Als Sozialist*innen muss uns bewusst sein, dass ein bürgerlicher Friedensbegriff keine Rechtfertigung für militärische Einsätze sein kann und mit solchen auch oft die Durchsetzung ökonomischer Interessen der kapitalistischen Zentren einhergeht. Dennoch können solche Missionen auch wichtige Funktionen im Bereich der Friedenssicherung erfüllen, etwa wenn im Kosovo die Entmilitarisierung des Landes von einer internationalen Truppe überwacht wird. Da sich Österreich nun auch verstärkt an europäischen militärischen Projekten wie den militärischen Eingreiftruppen beteiligen möchte, ist fraglich, ob nicht in naher Zukunft auch österreichische Soldaten in Kriegsgebiete zum Zweck der direkten Beteiligung an bewaffneten Konflikten entsendet werden. Eine Verteidigung der Neutralität heißt demnach auch immer eine Ablehnung an der direkten Beteiligung bewaffneter Konflikte. 

Bei einer Verteidigung der Neutralität geht es auch nicht darum, “fein raus zu sein” und internationale Solidarität schleifen zu lassen, im Gegenteil: viel eher geht es darum, eine aktive Neutralität zu leben. So können auch internationale Hilfeleistungen wesentlich leichter und schneller von einem neutralen Staat ausgehen. In Österreich wurde diese aktive Neutralität über Jahrzehnte hinweg gelebt, nicht umsonst hat sich Österreich als Vermittler in zahlreichen Konflikten hervorgetan. Doch die letzten drei Jahrzehnte an ÖVP-Außenminister*innen haben Außenpolitik stets als Selbstzweck zur Profilierung und Stimmengewinn im Inland genutzt: Sebastian Kurz ist wohl das beste und abschreckendste Beispiel dafür.

"Bei einer Verteidigung der Neutralität geht es auch nicht darum, ‘fein raus zu sein’ und internationale Solidarität schleifen zu lassen, im Gegenteil: viel eher geht es darum, eine aktive Neutralität zu leben."

Es wird einerseits deutlich, dass eine Wehrpflicht nur in Gesamtschau mit der jeweiligen Außenpolitik gesehen werden kann. Andererseits wird auch deutlich, dass eine Verteidigung der Wehrpflicht von Links komplett auskommt ohne dem Pathos von der “Verteidigung des Vaterlandes” oder anderen reaktionären Ideen. Schließlich ist uns als Linke ja noch immer bewusst, dass der (National-)Staat im Kapitalismus dazu da ist, bestmögliche Bedingungen für die Produktion von Gütern und die Akkumulation des Kapitals zu schaffen. “Stolz auf sein Land” zu sein, verschleiert nämlich nur die Klassenunterschiede im Inneren des Staates. Die Beibehaltung einer Wehrpflicht aus linker Perspektive zu fordern geht viel eher von einem Bewusstsein für diese Klassenunterschiede, und dementsprechend auch für Klassenkampf von oben, aus und soll einen Versuch darstellen, diese realen Machtverhältnisse zu analysieren und brauchbare Ableitungen jenseits von hippie-esken Plattitüden darzustellen. Die Wehrpflicht ist also nicht das Ende der Geschichte, aber in der gegenwärtigen Situation eine Notwendigkeit.