Pro: Linker Heimatbegriff
Eva Reiter
Keinesfalls darf es kommentarlos stehen gelassen werden, wenn von Heimat in Bezug auf Nation und Rasse gesprochen wird. Stattdessen müssen wir eine linke Erzählung von Heimat entwerfen.
(Dieser Artikel ist ein Teil der “Pro und Contra”-Debatte zum Thema “Direkte Demokratie”. Den Contra-Artikel von Roger Huber könnt ihr hier lesen.)
Bevor darüber diskutiert werden kann, ob ein linker Heimatbegriff sinnvoll ist oder nicht, muss definiert werden, was ein „linker Heimatbegriff“ ist bzw. sein könnte. Wenig überraschend treten hier bereits die ersten Debatten auf. Anstatt sich bereits an dieser Stelle darin zu verlieren, was denn nun überhaupt „links-sein“ bedeutet, widmen wir uns vorrangig der Frage, was ein „Heimatbegriff“ ist und mit sich bringt.
Hören wir das Wort Heimat, sind ganz klar rechte Bilder weit dominanter in den Köpfen verankert als andere. Heimat wird von Rechten vor allem dazu benutzt, ein „Wir“ und ein „Sie“ zu konstruieren. Diese Kategorien werden wiederum als unüberwindbare Differenzen dargestellt, die wiederrum die Basis für ihre Vertreibungsfantasien liefern.
Das ewiggestrige Gerede von Heimat, Vaterland und Nation liefert schon seit langem die Grundlage für Kriege und Rassismus. Kein Wunder also, dass Linke davor zurückschrecken, einen Begriff der Heimat zu verteidigen. Doch während sich die Linke zu Recht von Nationalismus und Rassismus distanziert, tut sie das zu Unrecht vom Heimatbegriff.
Was ist Heimat?
Eben weil es für Rechte zum Fundament ihrer Ideologie gehört, sich den Begriff der Heimat anzueignen und zu bestimmen, wer „Ausländer/die Anderen“ sind, die sie als minderwertig ansehen und zur Vertreibung aufrufen, ist es umso sinnvoller, als Linke selbst den Heimatbegriff zu besetzen und darum zu kämpfen.
Jeder Mensch braucht eine Heimat, aber nicht jeder Mensch bekommt sie (anerkannt). Weltweit sind Millionen von Menschen auf der Flucht, die vertrieben wurden, deren Heimat nicht sicher genug ist. Zudem leiden weitere Millionen von Menschen mit Migrationsbiografie darunter, dass sie für immer als „zu wenig dazugehörig“ gelten. Viele Menschen mit Migrationsbiografie, wie auch die bekannte Influencerin und Komikerin „Toxische Pommes“, greifen auf, dass sie nirgends wirklich zuhause sein dürfen. In dem Heimatland ihrer Eltern, gelte sie als reiche Österreicherin, in Österreich gelte sie als „Ausländerkind“. Menschen etwas so Grundlegendes wie ein Zuhause abzusprechen, ist ein massiver Einschnitt in die eigene Identität und das subjektive Sicherheitsgefühl. Sieht man Migrant*innen bzw. deren Kinder, Enkel etc. als nicht in Österreich zuhause, sieht man sie auch nicht als zugehörig - und legt das Fundament für Diskriminierung. „Geh hin, wo du hergekommen bist“, ist eine rassistische Beleidigung, die in Österreich leider ständig fällt. Leider ist diese Aussage ein gutes Beispiel dafür, wie Menschen zuerst deren Heimat abgesprochen wird und auf Basis dessen gefordert wird, dass sie das Land verlassen sollten. Den Heimatbegriff von links zu besetzen, stellt also auch einen gewissen Schutzfaktor dar. Und das alleine ist schon Grund genug, den Begriff der Heimat den Rechten zu entziehen.
Unser Heimatbegriff stützt sich also nicht auf Nation und Rasse und dient nicht zur Ausgrenzung. Aber wozu dann?
Heimat vermittelt Zugehörigkeit – jede*r ist wo Daheim – jede*r braucht ein Daheim. Hat man dieselbe Heimat wie andere Personen, so teilt man üblicherweise Eigenschaften und Erlebnisse, seien es Sprache, soziale Gepflogenheiten, bestimmte Orte oder Veranstaltungen, die jede*r der*die Heimat teilt, kennt. Bei Heimat geht es darumm sich mit einer Personengruppe identifizieren zu können. Rechte maßen sich es immer wieder an, darüber zu bestimmen, wem nun eine Heimat zusteht, wer dazugehören darf und wer nicht. Üblicherweise ist diese Einteilung völlig willkürlich, so ist die größte Gruppe an Migrant*innen in Österreich aus Deutschland. In der öffentlichen Debatte drehen sich jegliche Beschwerden aber nicht um diese größte Gruppe, sondern um Menschen aus Afghanistan & Syrien. Wieder einmal legen Rechte fest, wer dazugehört und wer nicht. Und genau dieses Feld dürfen wir ihnen nicht überlassen. Wir haben die Pflicht, die Absurdität der rechten Ideologie aufzeigen. Heimat bedeutet aber auch Sicherheit und Rechte.
“Als Sozialist*innen lehnen wir Nationalismus und Nationalstolz ab. Doch Nationalismus ist nicht gleichzusetzten mit Heimat. Auch Arbeiter*innen haben eine Heimat, leben an einem Ort, den sie gestalten und in dem sie mitbestimmen möchten."
Zudem hat Österreich ein sehr restriktives Staatsbürger*innenschaftsrecht, weswegen ca. 1,5 Millionen Menschen, die hier leben, arbeiten und zur Schule gehen, nicht wahlberechtigt sind, was die Demokratie schlichtweg schwächt. Rechte und Konservative argumentieren immer wieder, dass eine Ausweitung des Staatsbürger*innenschaftsrecht für alle Personen, die zb. seit 5 Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, den Weg für das „Ausländerwahlrecht“ frei machen würde. Auch hier wird erneut deutlich, welche tatsächlichen rechtlichen Folgen der Heimatbegriff mit sich bringt. Denn 1,5 Millionen Österreicher*innen werden eben nicht als solche angesehen, sondern ihnen werden mit der Begründung, sie seien „die anderen und hier nicht daheim“ grundlegende Rechten vorenthalten.
„Die Arbeiter haben kein Vaterland“ - Lenin.
Eines der wohl bekanntesten Zitate Lenins macht darauf aufmerksam, dass unsere Klassenzugehörigkeit mehr über unser Leben bestimmt, als es unsere Nationszugehörigkeit tut. Besonders in Zeiten der Kriegstreiberei ist immer wieder sichtbar, wie Arbeiter*innen schlichtweg als Kanonenfutter eingesetzt werden und sich am Schlachtfeld gegenseitig erschießen, anstatt sich gegen jene Mächtigen zu währen, die Kriege provozieren und als Mittel der Ankurbelung der (Kriegs)Wirtschaft, oder zum Sichern des inneren Friedens durch das Postulieren eines äußeren Feindes, nutzen. Nationalstaaten sind erst etwa im 19. Jahrhundert entstanden und oftmals willkürlich festgelegte Grenzen. Nationalismus drängt immer wieder die eigentlich bedeutsamen Klassenunterschiede in den Hintergrund und verschleiert sie durch nationalstaatliche Interessen. Aus diesen und vielen anderen Gründen lehnen wir als Sozialist*innen Nationalismus und Nationalstolz ab. Doch Nationalismus ist nicht gleichzusetzten mit Heimat. Auch Arbeiter*innen haben eine Heimat, leben an einem Ort, den sie gestalten und in dem sie mitbestimmen möchten.
Unsere Heimat – künftig bitte ohne Rechtsextreme!
Nun lässt sich weder die Wichtigkeit des Heimatbegriffs abstreiten noch die Tragik, dass dieser gerade von Rechtsextremen besetzt wird. Wie holen wir ihn uns also zurück? Keinesfalls darf es kommentarlos stehen gelassen werden, wenn von Heimat in Bezug auf Nation und Rasse gesprochen wird. Stattdessen müssen wir eine linke Erzählung von Heimat entwerfen. Wir müssen von Gemeinschaft und Solidarität reden und davon, dass jede*r ein gutes Leben in Sicherheit verdient. Einen Ort zu haben, in dem man sich entfalten kann und gerne lebt, ist für jede*n etwas erstrebenswertes. Das ist anzuerkennen. Das Schöne ist ja, dass es nicht notwendig ist, andere abzuwerten, ihnen Rechte abzusprechen oder gar Leute aus dem Land zu verweisen, um jedem Menschen ein gutes Leben in Sicherheit zu gewähren. Hier braucht es keine Festung Europa, keine Erweiterung der Befugnisse für Polizist*innen oder gar mehr Überwachung, sondern soziale Sicherheit. Eben das müssen wir Rechten entgegenhalten, so dass die breite Mehrheit der Gesellschaft von einer Heimat träumt, wie wir sie zeichnen: gleichberechtigt, friedlich und solidarisch. Würde uns das gelingen, wäre es uns möglich, Rechten den Nährboden für ihre angstschürende rassistische Ideologie zu entziehen.
Um wieder darauf zurückzukommen, was es denn nun bedeutet, links zu sein, möchte ich jenes Element hervorheben, bei dem sich wirklich alle einig sind: Die soziale Frage zu stellen und für mehr soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Reden die einen über Heimat nur in Beziehung dazu, wie Leute am besten vertrieben und zu Sündenböcken ernannt werden können, so müssen wir, wenn wir über Heimat sprechen, betonen, wie wichtig soziale Sicherheit ist, wie notwendig deshalb das Schließen der Schere zwischen arm und reich und ein gerechteres Staatsbürgerschaftsgesetz ist.