Prigoschins Putsch - (k)ein Gamechanger?
Der innerrussische Konflikt um Herrschaft und Macht drohte am Wochenende zu eskalieren. Der Chefkommandeur der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, ließ Truppen in Richtung Moskau marschieren, die schlussendlich jedoch wieder umkehrten. Aus linker Perspektive ist klar zu sagen: Selbst ein erfolgreicher Putsch von Figuren wie Prigoschin würde kaum ein Problem im Umgang mit Russland lösen.
Der Marsch auf Moskau vergangenen Samstag setzte weite Teile der Weltöffentlichkeit in Alarmbereitschaft. Sollte die Regentschaft Wladimir Putins wirklich so enden? In Sozialen Medien machte sich in manchen Ecken Hoffnung breit, mit einem erfolgreichen Putsch könnte der Krieg in der Ukraine ein Ende finden, nachdem Prigoschin Andeutungen dahingehend machte, dass man sich unter Umständen doch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski hätte einigen können. Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass diese Hoffnungen auf langfristige Änderungen der politischen Ausrichtung selbst unter Prigoschin eine Illusion wäre.
Die Söldnertruppe Wagner als Truppen des Kriegsverbrechens
Prigoschin gilt als Kopf der Söldnertruppe Wagner. Eine paramilitärische Einheit, die in der Vergangenheit inoffiziell als verlängerter militärischer Arm der russischen Regierung unter Putin galt. Wagner-Truppen sind auch im Ukraine-Krieg an vorderster Front involviert und sind mutmaßlich für unzählige Kriegsverbrechen in der Ukraine und anderswo verantwortlich. Das bestätigen auch ehemalige und mittlerweile ausgestiegene Söldner. Gegründet wurde die Truppe Wagner einst unter anderem von Dmitri Utkin, einem russischen Neonazi, der Berichten zufolge auch die Truppen auf dem Weg nach Moskau anführte.
Zuallererst gilt es daher festzuhalten, dass Prigoschin und seine Truppe keineswegs Ideale der Demokratie oder ähnliches verteidigen. Wagner ist eine Söldnertruppe, die ohne Rücksicht auf Menschenrechte oder das Kriegsrecht ihre Missionen im Sinne der Auftraggeber ausführt. Wer zahlt, schafft an - ohne Rücksicht auf Verluste oder die Zivilbevölkerung.
Irritierende Meldungen von Innenminister Karner über mögliche Asylgründe für Prigoschin (Kriegsverbrecher sind nach geltenden Regeln vom Asylrecht eigentlich ausgeschlossen) sind daher ebenso massiv unangebracht. Vor allem wenn man bedenkt, dass russische Staatsbürger, die ihren Wehrdienst verweigern wollen, um in der Ukraine nicht in mögliche Kriegsverbrechen involviert zu werden, in Österreich aktuell kein Asyl bekommen.
“Putin und Prigoschin sind zwei Seiten derselben Medaille. Sowohl der eine als auch der andere brauchen das Gift des Nationalismus, um ihre imperiale Politik zu rechtfertigen. Beide halten wenig von demokratischen Prinzipien und grundlegenden Rechten für arbeitende Menschen.”
Der Konflikt Putin-Prigoschin als Kampf innerhalb der herrschenden Klasse
Es sind also nicht die großen weltanschaulichen Fragen, die diesen Konflikt ausgelöst haben, sondern ein Tauziehen um Macht, Herrschaft und Einfluss der herrschenden Klasse Russlands - all das auf dem Rücken der Bevölkerung Russlands wie jener anderer Staaten, in denen Russland militärisch agiert. Putin und Prigoschin sind zwei Seiten derselben Medaille. Sowohl der eine als auch der andere brauchen das Gift des Nationalismus, um ihre imperiale Politik zu rechtfertigen. Beide halten wenig von demokratischen Prinzipien und grundlegenden Rechten für arbeitende Menschen.
Was jedoch auf jeden Fall in sich zusammenbricht ist die unter liberalen Stimmen in der Vergangenheit oft weit verbreitete Auffassung, man müsste nur den Kopf Putin an der Spitze der russischen Regierung austauschen und der Krieg in der Ukraine wäre erledigt, da dieser nicht auf Klasseninteressen beruhen würde, sondern das Ergebnis eines irren Psychopathen sei.
Diese Erkenntnis folgt einem geschichtlichen Muster: Politik und daraus resultierende Geschichte sind nicht eine zufällige Abfolge von Ereignissen, sondern stets eine Auseinandersetzung verschiedener Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, die reale Machtverhältnisse abbilden. Es ist daher auch kein Zufall, dass eine gut organisierte und in der Vergangenheit vom Staat geförderte Gruppe innerhalb des russischen Machtapparats die Herrschaft von Putin eher herausfordern konnte, als eine organisierte Bewegung aus der (unterdrückten) arbeitenden Bevölkerung heraus dazu in der Lage war.
Echter Politik-Wechsel nur durch Politik von Unten
Diese Feststellung muss auch Anstoß für den Maßstab sein, welche Perspektiven sich aus dem Prigoschin-Aufstand für die politische Linke ergeben - in Bezug auf den Ukraine-Krieg und darüber hinaus. Dass zwischen Putin und Prigoschin in dieser Sicht kein Unterschied auszumachen ist, wurde bereits festgestellt. Natürlich wäre es unter Umständen kurzfristig möglich gewesen, durch eine Machtübernahme in Moskau den Krieg kurzfristig zu stoppen oder der Ukraine sogar Landgewinne zu ermöglichen - auch wenn alle Annahmen in diese Richtung selbstredend rein spekulativer Natur sind und ewig bleiben werden.
Langfristig braucht eine friedliche Lösung in der gesamten Region allerdings eine hegemoniale Regierung mit anti-imperialistischen Grundsätzen. Solange die arbeitende Bevölkerung innerhalb Russlands nicht eine ausreichend starke Bewegung zu organisieren imstande ist, die nicht die Ausdehnung und Verteidigung einer russischen Einfluss- und Profitsphäre im Dienste der herrschenden Klasse, sondern das Interesse der gesamten arbeitenden Bevölkerung zum Ziel hat, wird sich an den gegeben Umständen wie dem Krieg in der Ukraine wenig ändern. Ein Muster, das man nicht nur in Russland, sondern auch in allen anderen bürgerlichen Staaten findet, die Teil der globalen geopolitischen Auseinandersetzung sind und etwa Kriege zur Wahrung der “eigenen strategischen Interessen” führen.
Der größte Dienst im Sinne des Antiimperialismus geschieht im eigenen Land. Unsere konkrete Aufgabe besteht daher in diesem Fall darin, die russische Opposition, die verbliebene organisierte Arbeiterschaft, die internationale Solidarität über die geopolitischen Spiele der herrschenden Klasse stellt, nach allen Möglichkeiten zu unterstützen. Sei es durch organisatorisches Know-How, materielle Dinge oder politisches Lobbying für Visa & Co. Nur so kann es tatsächlich zu einem echten Wechsel in der politischen Ausrichtung Russlands kommen. Jewgeni Prigoschin als Teil der Lösung zu sehen, schießt dabei am Problem vorbei.