Polen, Ungarn & die EU

Raphael Prinz

Die rechtsgerichteten Regierungen in Budapest und Warschau sorgten in den vergangenen Jahren immer wieder für Zündstoff innerhalb der Europäischen Union. Doch wie genau sieht der Konflikt zwischen Staaten wie Polen & Ungarn und der EU aus? Wie stark sind die populistisch-durchtriebenen Regime Europas wirklich, und was können wir als Sozialist*innen tun, um ihre Macht zu brechen?

Der ungarische Premierminister Viktor Orbán ist ohne Frage ein talentierter Populist. Regelmäßig schafft er es, sich in die internationalen Schlagzeilen zu bringen, zuletzt, weil er bei einem Fußball-Länderspiel Ungarns einen Schal trug, auf dem das großungarische Reich zu erkennen war, zu dem unter anderem die Slowakei gehörte. Einige Tage nach dem Spiel machte sich der ungarische Premier zu einem Treffen der Staatschefs aller 4 Visegrád Staaten (zu diesem Bund gehört die Slowakei, Ungarn, Polen und Tschechien) auf, dass dieses mal in der Slowakei stattfand.

Diese politischen Eklats Orbans sind keine Seltenheit. Im Juli 2022 fiel er beispielsweise mit antisemitischen „Witzen“ auf. Dass er regelmäßig das rechtsextreme Narrativ eines „Bevölkerungsaustauschs“ bedient, ist ebenso kein Geheimnis. Doch vor allem für eines ist er, neben den Regierungschef*innen von z.B. Polen und seit kurzem auch Italiens, bekannt: Seiner fundamentalen EU- Kritik. Die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion zu kritisieren ist ohne Frage zu einem Trend unter rechtsradikalen Politkern auf dem gesamten Kontinent geworden, aus diesem Grund herrscht zwischen der EU und jenen Staaten auch ein extrem angespanntes Verhältnis.

 

Die neue Reaktionäre

Die länderübergreifende Ideologie, der sich auch Orbán bedient, erfreut sich in ganz Europa durch rechtsextreme und neo-faschistische Parteien großer Wahlerfolge. Vor allem ein Wiedererstarken des Nationalismus und damit auch eine fundamentale Kritik an der EU, einem internationalen Staatenbündnis, genauso aber neoliberale, LGBTQI+-feindliche, sexistische und reaktionäre politische Ideen gehören zu den Hauptmerkmalen dieser neuen politischen Kräfte.

Wie genau es aussehen kann wenn eine dieser Parteien ein Land kontrolliert, möchte ich am Beispiel von Polen und Ungarn aufzeigen: 

 

Polen und die PiS-Partei

Die Prawo i Sprawiedliwość, auf deutsch die „Recht und Gerechtigkeit“- Partei, nutzte die 2015 aufkeimende anti-Asyl Stimmung in Polen, um sich an die Macht zu verhelfen. Bei der Parlamentswahl 2015 gelang es ihr so, die damalige konservativ-bürgerliche Regierungspartei PO vom Thron zu stoßen. Die PiS- Partei hat in Polen genau das gemacht, was Parteien mit nationalkonservativer Ausrichtung überall tun, wo sie regieren: Sie hat versucht ihr Land auf einen neuen Nationalismus einzuschwören und liberale Ideen, wie das Recht auf Abtreibung oder LGBTQI+-Rechte, zu Bedrohungen für die Gesellschaft zu erklären.

Ein verstörendes Beispiel sind hier die „LQBT-ideologiefreien Zonen“, in denen konservative Politiker*innen das Gebiet ihrer Gemeinden, Städte und Co. als Verbotszone für eine angebliche LGBT- Ideologie bezeichneten. Diese Zonen bedeckten zeitweise rund ein Drittel des Landes, nach und nach distanzierten sich aber immer und immer mehr Gemeinden von der Idee. 

 

“Die Regierung hat diese Kammer eindeutig nur deshalb ins Leben gerufen, um mehr Kontrolle über die Justiz zu bekommen. Ein klarer Bruch mit sämtlichen demokratischen Grundsätzen. Anscheinend hatte sich die PiS jedoch bezüglich ihrer tatsächlichen Möglichkeiten, offen gegen den polnischen Rechtsstaat vorzugehen, verkalkuliert.”

Genauso hat die Partei den polnischen Rechtsstaat systematisch zu ihren Gunsten abgebaut. Das mit Abstand beste Beispiel hierfür ist, dass die PiS 2018 eine „Disziplinarkammer“ am obersten Gerichtshofs Polens schuf, die für die Aufsicht über alle Richter zuständig sein sollte. Die Regierung hat diese Kammer eindeutig nur deshalb ins Leben gerufen, um mehr Kontrolle über die Justiz zu bekommen. Ein klarer Bruch mit sämtlichen demokratischen Grundsätzen. Anscheinend hatte sich die PiS jedoch bezüglich ihrer tatsächlichen Möglichkeiten, offen gegen den polnischen Rechtsstaat vorzugehen, verkalkuliert. Denn die EU-Kommission eröffnete im Oktober 2019 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, letztendlich musste die PiS nachgeben und kündigte an die Disziplinarkammer abzuschaffen. Gleichzeitig machte der Chef der PiS, Jaroslaw Kaczynski, allerdings klar, dass in Zukunft andere Institutionen an die Stelle der Disziplinarkammer treten könnten. 

Der Erfolg des Viktor Orbáns in Ungarn

Seit 2010 ist Viktor Orbán Ministerpräsident von Ungarn, davor hatte er das Amt ebenfalls von 1998-2002 inne. Allein schon diese lange Amtszeit sollte eines verdeutlichen: Orbán ist ein Machtmensch, er hat über Jahre den Einfluss seiner Partei und Regierung in seinem Land bis ins Unermessliche gesteigert, von Justiz über Presse, die Fidesz (Orbans Partei) hat Ungarn fest in eiserner Hand. Erfolgreich war er dabei zuerst, indem er sich als „liberaler“, als einen Mann, der aus dem „veralteten, kommunistischen System“ ausbrechen wolle, inszenierte, was bei der ungarischen Bevölkerung gut ankam. Dass dieser, einstig so „liberale“, nun alles „Progressive“ als Gefahr für die ungarische Gesellschaft darstellen möchte, zeigt die wahre Natur Orbáns, er passt sich der derzeitigen politischen Stimmung an, er ist ein Populist. 

Die Fidesz, deren Parteivorsitzender Orbán (mit ein paar kurzen Unterbrechungen) seit Jahrzenten ist, hat in Ungarn dieselbe hasserfüllte Ideologie propagiert, wie die PiS in Polen, Orbán treibt es dabei mit seinen Aussagen jedoch auf die Spitze. Aussagen wie „Wir wollen nicht zu Gemischtrassigen werden“, führten schon oft zu internationalen Aufschreien. Die Fidesz bezeichnet auch die Rechte von LGBTQI-Angehörigen, genauso wie auch das Recht auf Abtreibung, als allgemeine Gefahr für die Gesellschaft. Das Bild einer konservativen Familienstruktur zu wahren, ist ohne Frage zentral für sein Weltbild.

Auch die freie Presse ihres Landes hat die Fidesz beinahe vollständig unter Kontrolle gebracht, die Justiz ebenso. Die rassistische Ideologie Orbáns zeigt sich jedoch am schlimmsten an den illegalen Pushbacks an der Grenze Ungarns zu Serbiens: Allein 2021 führten die Sicherheitskräfte dort rund 71.000 Pushbacks durch. 

 

Der Konflikt mit der Union und der Rechtsstaatsmechanismus

Riga, 2015: Der damalige Kommisionspräsident, Jean-Claude Juncker, begrüßt Orbán auf einem Gipfel in der lättischen Hauptstadt, mit den Worten „The Dictator is coming!“, sofort geht das auf Social Media viral. Der Vorfall war symbolisch dafür, wie es in der Beziehung Ungarns zur EU aussah, in den kommenden Jahren verschlechterte sich diese immer mehr, genauso das Verhältnis Polens zur Europäischen Union. 

Schon seit 2014 gibt es ein Instrument zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Union. Erst seit 2021 kann mit diesem allerdings auch finanziell gegen Mitgliedsstaaten vorgegangen werden. Trotz der offensichtlichen Vergehen gegen Prinzipien der Union hat die Kommission alles andere als schnell gehandelt. Das erste Mal kam der Mechanismus 2017 zum Einsatz, um gegen die de facto antidemokratischen Justizreformen der PiS vorzugehen. Die EU hat allerdings lange gebraucht, um wirksam zu agieren, doch immerhin: Am 27. April 2022 leitete die EU-Kommission aufgrund von klaren Vergehen gegen die Rechtsstaatlichkeit Ungarns ein Verfahren gegen den Staat ein. Die Konsequenz: Allem Anschein nach werden Orbáns Regierung 7,5 Milliarden Euro aus dem gemeinsamen EU-Haushalt entgehen. Geld, dass das Land (besonders nach der Pandemie) dringend nötig hätte. Zahlungen zu verweigern, ist ohne Frage ein notwendiger Schritt der Kommission, doch sie geht noch lange nicht weit genug: Ungarn ist nicht das einzige Land mit autokratischen Tendenzen, wenn die Union ihre Werte tatsächlich durchsetzen möchte, dann MUSS sie stärker gegen authoritäre Regime, vor allem aber auch gegen die grausamen Verletzungen der Menschenrechte an Europas Grenzen vorgehen.

Was es nun zu tun gilt

Als Sozialist*innen muss uns eines klar sein: Die Demokratie und die Möglichkeit zur Mitbestimmung ist einer der größten Erfolge des Kampfes für mehr Gerechtigkeit für die Arbeiter*innenklasse in den letzten Jahrzehnten, sie gibt Arbeiter*innen eine Stimme und damit eine gerechte Vertretung. Wer ihre Fundamente angreift, der muss mit uns als kampfbereite Kraft zu rechnen haben! 

Diese Kampfbereitschaft gilt es in die Europäische Union zu tragen. Es braucht ohne Frage eine Revolution der EU, denn die veralteten, neoliberalen und viel zu bürokratischen Strukturen der Union, begünstigen das Aufkommen neuer, rechtspopulistischer Parteien und stabilisieren so auch den neoliberal- geprägten, heutigen Kapitalismus. Genauso müssen wir uns, weiterhin, vehement gegen die von der EU totgeschwiegenen Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen unseres Kontinents einsetzen. Ebenfalls gilt es, die Werte auf denen sich die EU eigentlich gegründet hatte, wie die Demokratie und die allgemeinen Menschenrechte, wieder aus den alten, verstaubten Kellern Brüssels zu holen, um eine neue, sozial gerechte Europäische Union aufzubauen. Am Ende des Tages ist dies nämlich vor allem eines:Das wirksamste Mittel, um Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen: Eine gute Aufklärung über demokratische Prinzipien und das Bekämpfen von sozialer Ungleichheit.

 

“Es braucht ohne Frage eine Revolution der EU, denn die veralteten, neoliberalen und viel zu bürokratischen Strukturen der Union, begünstigen das Aufkommen neuer, rechtspopulistischer Parteien und stabilisieren so auch den neoliberal- geprägten, heutigen Kapitalismus.”

Quellen:

1: https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-orbans-gross-ungarn-schal-die-zusammenarbeit-belastet-18482287.html

2: https://www.sn.at/politik/weltpolitik/nehammer-will-orban-auf-rassistische-aussagen-ansprechen-124835173

3: https://www.dw.com/de/ungarn-es-gibt-freie-presse-aber-keine-pressefreiheit/a-57389800

4: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/verstosse-gegen-rechtsstaatlichkeit-eu-kommission-will-zahlungen-aus-eu-haushalt-ungarn-aussetzen-2022-09-18_de

5: https://www.derstandard.at/story/2000141151185/streit-um-eu-milliarden-kommission-plant-entscheidung-gegen-ungarn

6: https://osteuropa.lpb-bw.de/demokratie-polen

7: https://osteuropa.lpb-bw.de/polen-justiz-verfassung

8: https://www.lsvd.de/de/ct/2227-quot-LSBTI-freie-Zonen-quot-in-Polen-Steigender-Hass-im-Nachbarland#webtalk

9: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/kosmos-weltalmanach/66079/orban-viktor/

10: https://kurier.at/politik/ausland/orban-wir-wollen-nicht-zu-gemischtrassigen-werden/402086494

11: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/ungarn-2021

12: https://osteuropa.lpb-bw.de/rechtsstaatsmechanismus-artikel-7-verfahren