Liberale Demokratie und Wirtschaftsdemokratie

Jasmin Rieder

Unter einer liberalen Demokratie verstehen wir unser aktuelles demokratisches System. Bürger*innen genießen die Freiheiten der Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, auf freie Wahlen, etc. Sie haben jedoch wenig bis keinen Einfluss darauf, wie ihr Arbeitsplatz gestaltet wird. Hier kommt der Begriff der “Wirtschaftsdemokratie” ins Spiel.

In einer liberalen Demokratie gibt es eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, um Machtmissbrauch zu verhindern. Wirtschaftsdemokratie hingegen bezeichnet ein Konzept, bei dem die Arbeitnehmer*innen und andere Interessengruppen mehr Einfluss und Mitbestimmung in wirtschaftlichen Entscheidungen und Prozessen haben. Dieses Konzept strebt danach, die Machtverhältnisse in Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt zu dezentralisieren und demokratischer zu gestalten. Dies kann durch verschiedene Mechanismen erreicht werden, wie zum Beispiel Mitbestimmungsrechte in Unternehmensentscheidungen, Genossenschaften oder die Einführung von Arbeitnehmer*innenvertretungen in Unternehmensvorständen. Die Grundlagen dafür legte Rudolf Hilferding. Historisch wird die Wirtschaftsdemokratie als ein Übergang zwischen Kapitalismus und Sozialismus verstanden, was weiters zur Theorie des Staatsmonopolistischen Kapitalismus führt. 

 

Historische Beispiele für Wirtschaftsdemokratie 

Bei der Kleinbourgeoisie führt der Weg zum Sozialismus über die Genossenschaft, während bei der Mittelbourgeoisie der Weg ein anderer ist. Das Beispiel Friedrich Engels wird eine*r jeden Genoss*in sofort in den Sinn kommen. Er stammte aber sogar aus einer großbürgerlichen Familie.

Hannsheinz Porst ist das wohl bekannteste Beispiel für einen Mittelkapitalisten aus der BRD der 70er Jahre, der sich für den Sozialismus eingesetzt hat. Er hat aus diesem Grund sogar den geerbten Familienbetrieb Photo Porst in eine Genossenschaft der Belegschaft umgewandelt. Dieses Unterfangen scheiterte aber daran, dass der Betrieb zu groß war, um als Genossenschaft zu funktionieren. Genossenschaften haben den Nachteil, dass sie ab einer gewissen Größe nicht zu managen sind, da jedes Mitglied ein Mitspracherecht besitzt. Bei einem Unternehmen, das über das ganze Staatsgebiet verteilt Filialen betreibt, ist das unpraktikabel. So könnte auch unter volksdemokratischen Verhältnissen keine erfolgreiche Transition von mittelkapitalistischen in sozialistisches Eigentum erfolgen. Der sozialliberal eingestellte Bourgeois Ernst Abbe sagte schon 1897 in einer Rede: „Wir sind keine Genossenschaft in Bezug auf Verwaltung und Leitung der Arbeit. Und im Vertrauen sage ich Ihnen: Seien Sie alle froh darüber! Denn es ist noch kein Versuch gelungen, Genossenschaften auf industriellen Gebieten mit Erfolg zu halten, die auch hinsichtlich der Verwaltung und Leitung Genossenschaften gewesen wären.“ Porst hätte also wissen können, dass sein Ansatz organisatorisch scheitern würde. Nur Kleineigentum kann man erfolgreich zu Genossenschaften zusammenführen, Mittel- oder gar Großeigentum ist als Genossenschaft nicht verwaltbar.

Hannsheinz Porst ist ein Einzelbeispiel eines Mittelbourgeois, welches man durchaus anführen kann, trotz seines falschen Ansatzes. Aber was benötigt wird, ist ein echtes Konzept, um die Mittelbourgeoisie als Klasse für unsere Sache zu gewinnen. Würde die Mittelbourgeoisie (die in China als nationale Bourgeoisie bezeichnet worden ist, im Kontrast zur großkapitalistischen Kompradorenbourgeoisie) nicht abgeschafft werden, würde die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen nicht abgeschafft werden. Aber ohne die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gibt es keinen Sozialismus.

 

Ist Wirtschaftsdemokratie im Kapitalismus möglich?

Man muss sich aber genauso dessen bewusst werden, dass die Mittelbourgeoisie aufgrund ihrer Klassenlage ein unzuverlässiger Bündnispartner ist, da diese durchaus ein Interesse am Kapitalismus besitzt. Der rechte Flügel der Mittelbourgeoisie, der auf der Seite der Großbourgeoisie steht, ist somit unser Feind, der linke Flügel, der sich uns zuwendet, unser Verbündeter. 

Nun ist Österreich ein imperialistischer Staat, einer der entwickeltsten der Welt. Es gibt zwar Widersprüche zwischen Großbourgeoisie und Mittelbourgeoisie, sie sind aber nicht so scharf wie die zwischen der Kompradorenbourgeoisie und der nationalen Bourgeoisie, da es sich in diesem Fall nicht um einen Widerspruch mit der imperialistischen Ausbeutung des Landes durch eine fremde Bourgeoisie handelt. Trotzdem ist es nicht unmöglich, dass sich Teile der Mittelbourgeoisie uns anschließen können. 

Die DDR unter Walter Ulbricht hatte auch Teile der Mittelbourgeoisie als Bündnispartner finden können. Die Klassenbedingungen in der DDR waren nicht grundsätzlich anders als heute, schließlich wurde die DDR auf den Trümmern des faschistischen deutschen Imperialismus der Nazis aufgebaut. Die Mittelbourgeoisie war damals von der Interessenlage her keinen Deut besser als heute. Wer in den Westen floh oder konterrevolutionäre Kräfte unterstützte, wurde enteignet. Der Hauptteil der Mittelbourgeoisie ließ sich aber auskaufen. Die Auskaufbetriebe nannte man in der DDR „Betriebe mit staatlicher Beteiligung“. Und auch Ulbricht erkannte beispielsweise noch 1959 an, dass es innerhalb der DDR noch immer Klassenkampf gebe: „Angesichts der fortschreitenden sozialistischen Entwicklung unserer Republik sind die imperialistischen Kräfte immer wütender bemüht, durch ihre Störtätigkeit von außen her den Sieg des Sozialismus zu verhindern. Der Klassenkampf hört also nicht auf, zumal es neben dem Einwirken des Feindes von außen her auch noch innere Ursachen des Klassenkampfes in der DDR gibt (Existenz kapitalistischer Kräfte, Überreste der bürgerlichen Ideologie und anderes).” 

“Ist in der Frage der Wirtschaftsdemokratie das Risiko des Opportunismus vorhanden? Das ist es tatsächlich, und zwar in einem nicht zu vernachlässigendem Maße. Sollte man deshalb es gar nicht erst versuchen? Nein, es wäre der falsche Weg, den richtigen Kurs aus Angst vor Fehlern zu verwerfen."

Wirtschaftsdemokratie im Kapitalismus wäre eine reine Augenauswischerei, da alle Konstrukte, die zur Unterdrückung einer Arbeiter*innenbewegung genutzt werden, weiter existieren. Ist in der Frage der Wirtschaftsdemokratie das Risiko des Opportunismus vorhanden? Das ist es tatsächlich, und zwar in einem nicht zu vernachlässigendem Maße. Sollte man deshalb es gar nicht erst versuchen? Nein, es wäre der falsche Weg, den richtigen Kurs aus Angst vor Fehlern zu verwerfen. Das wäre eine Kapitulation vor einem Problem aus Angst vor der Niederlage. Nur weil wir es mit der Wirtschaftsdemokratie zu tun haben, werden wir nicht automatisch zu Nachfolgern von Georg von Vollmar, der, nachdem er eine bürgerliche Frau geheiratet hat, vom Revolutionär zum rechtsopportunistischen Reformer gewendet ist. Weder die SED unter Ulbricht, noch die KPÖ unter ihrer staatsmonopolistischen Kapitalismus-Theorie  wurde plötzlich zu einem Vertreter des Kapitalismus.

Wenn wir genauso wenig schwanken wie die linken Vordenker*innen in ihrem Kurs, werden wir die Wirtschaftsdemokratie neu gestalten können, sodass zumindest eine abgeschwächte Form im Kapitalismus bestehen kann. 

Ist Reform erstrebenswert?

Manch revolutionäre Genoss*innen schreien nun nach Revisionismus und Reformgeist, doch das wäre ein Irrglaube. Ein gerumpeltes System aufzubrechen und umzugestalten ist in erster Hinsicht nicht schwer. Die Neugründung von wirtschaftsdemokratischen Betrieben wäre nicht sinnvoll, es muss eher eine Revolution von innen passieren. Durch die Erkämpfung der Arbeitsrechte durch Gewerkschaften, Genossenschaften und anderen arbeiterfreundlichen Organisationen wird zumindest der Grundstein gelegt. Doch wie kommt es nun zu einer Wirtschaftsdemokratie? Hilferding konnte sich mit Kautsky nur auf eine Reform des kapitalistischen Systems einigen. Ist dies zufriedenstellend? Nein. Was es braucht, ist nicht die Wirtschaftsdemokratie wie Hilferding sie im Finanzkapital definiert. Die Grundlagen zu legen für eine demokratische Arbeitswelt hilft den Arbeitern nicht nur kurzfristig, sondern schafft auch langfristig die ideologischen Bedingungen und das Klassenbewusstsein für eine friedliche Revolution der Arbeiter*innen.