Kapitalismus und Reproduktionsarbeit

Lina Ehrich, Fiona Schindl

Disappointed, but not surprised: Die Zeitverwendungserhebung 2022

Auf den ersten Blick mag es vielleicht wie ein Erfolg wirken: Frauen* und Männer arbeiten in Österreich in etwa gleich viele Stunden pro Tag. Bei der letzten dieser Studien 2008 verbrachten Frauen* noch eine ganze Stunde mehr mit Arbeit. Allerdings fallen für unbezahlte Arbeit noch immer ca 2 Stunden mehr an als bei Männern, insgesamt mehr als die Hälfte ihrer Gesamtarbeitszeit. Dazu zählen neben ehrenamtlichen Tätigkeiten vor allem Reproduktions- und Carearbeit, also Haushalt, Kinderbetreuung und Pflege bzw Unterstützung anderer Angehöriger. 

Zwar sind mehr Frauen erwerbstätig, mehr als ⅔ der Hausarbeit bleibt aber trotzdem zusätzlich an ihnen hängen. Und das sogar dann, wenn sie gleich viel arbeiten wie ihre Partner. Das sind nur in etwa 10% weniger als in den 1980ern. Nur bei Paaren, bei denen die Frauen ein höheres Erwerbsausmaß haben als ihre Partner, ist die Hausarbeit gleich verteilt. 

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen wieder einmal klar: weit ist es mit der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen* nicht hier in Österreich. Selbst bei jungen Menschen ist die Aufgabenteilung noch von klassischen Rollenbildern geprägt. Und: die Bedingungen für Geschlechtergerechtigkeit sind noch lange nicht gegeben. Solange Frauen* immer noch weniger verdienen, werden sie öfter in Karenz oder Elternteilzeit gehen bzw bleiben (müssen). Solange es keine Kinderbetreuungsplätze in ausreichender Verfügbarkeit gibt, werden Familien, und damit meistens Frauen*, gezwungen sein, diese Arbeit unbezahlt zu erledigen. 

Für diese unbezahlte Reproduktionsarbeit gibt es keine allein gültige Definition, die definiert, welche Tätigkeiten genau zur Care-Arbeit zu zählen sind. Und trotzdem dreht es sich immer irgendwie um Arbeiten, die direkt auf das Wohlergehen von Menschen ausgerichtet sind.

Wir als Sozialist*innen wissen, was das für Auswirkungen auf das gesamte Leben von Frauen hat: Frauen sind stärker von Armut betroffen, bereits während der Erwerbstätigkeit und besonders in der Pension. Sie sind oft finanziell abhängig von ihren (männlichen) Partnern und ihre Arbeitskraft wird als weniger wert angesehen. 

Dass all diese Missstände immer noch so ausgeprägt existieren, ist auch der ÖVP und ihrer “Frauen*politik” zuzuschreiben. Geprägt von einem “traditionellen”, also konservativ-bürgerlichen Frauen*bild, verhindert die ÖVP, am liebsten in Koalition mit der FPÖ, aktiv politische Maßnahmen, die das Leben von Frauen* verbessern könnten oder beschließt sogar gegenteilige: Kürzungen von Sozialleistungen, Herdprämien, das Reduzieren von Frauen* auf ihre Gebärfähigkeit. 

 

Warum ist das so? Die Symbiose zwischen Kapitalismus und Patriarchat

“Sie nennen es Liebe, wir nennen es unbezahlte Arbeit”. Die Industrialisierung und der Beginn des klassischen Kapitalismus bringen auch mit sich, dass Familien nicht mehr gemeinschaftlich Erwerbs- und Hausarbeit betreiben. Stattdessen werden diese Bereiche von nun an entlang der Linie der “Geschlechterunterschiede” getrennt. Als “Liebesdienst” verstanden, sind nun Haushalt und Kindererziehung ausschließlich Aufgabe der Frauen und älteren Töchtern. Praktisch, denn was Frauen angeblich gerne und von Natur aus machen, muss nicht entlohnt werden.

Dem Kapitalismus ist es so möglich, einerseits Arbeitskraft im Erwerbsleben auszubeuten und Arbeitern weniger zu bezahlen, als sie an Wert erwirtschaften. Andererseits kann der Aufwand, der notwendig ist, um die Arbeitskraft aufrechtzuerhalten, also die Reproduktionsarbeit, zu einer privaten Sache erklärt werden und als solche nicht bezahlt, bzw überhaupt nicht als “Arbeit” angesehen werden. Lohnarbeit von Frauen* war monetär weniger wert und nur als “Zuverdienst” zum Lohn des Mannes gesehen. 

Dass Haushaltsführung und Kindererziehung dann noch in vielen Gesetzbüchern als eine Eheverpflichtung der Frau festgeschrieben wurden, hat dazu beigetragen, dass dieses Bild bis ins späte 20. Jahrhundert bestehen blieb und eigentlich bis heute bleibt.

Selbst die Errungenschaften der Frauenbewegungen konnte sich der Kapitalismus zu Nutzen machen: Erstens bedeuten mehr Frauen* am Arbeitsmarkt mehr (und bis heute billigere) ausbeutbare Arbeitskraft, zweitens erledigen ebendiese Frauen* weiterhin die notwendige Reproduktions- und Carearbeit. 

Der Kapitalismus ist abhängig davon, dass Arbeiter*innen Kinder bekommen, diese erziehen und zu weiteren Arbeiter*innen machen. Er ist auch abhängig davon, dass Arbeiter*innen sich ausreichend erholen, damit diese über lange Zeit hinweg wertschaffend arbeiten können. Er lebt also davon, dass unbezahlte Arbeit passiert, und er profitiert ungemein davon, dass sie eben großteils unentlohnt passiert.

 

Ökonomische Auswirkungen und Perspektiven

Unbezahlte Arbeit dient im Wesentlichen der Erhöhung unseres Lebensstandards. Denn während Güter auch im industriellen Sektor produziert werden, müssen diese Konsumgüter ja irgendwie in Lebensstandard und Wohlergehen umgewandelt werden - und das geschieht durch (im Großteil unbezahlte) Arbeit. Als kleines Beispiel kann hier die Produktion von Nahrungsmitteln herangezogen werden. Wenngleich diese Güter im industriellen Sektor durch bezahlte Erwerbsarbeit produziert werden, so wird von einem Kilo Gemüse selbst noch niemand satt. Es ist die unbezahlte Care-Arbeit, die aus dem Kilo Gemüse etwas kocht, die sich darum kümmert, dass saubere Töpfe und Pfannen zur Verfügung stehen, um zu kochen, und die dafür sorgt, dass Geschirr gespült wird, um das selbe Prozedere am nächsten Tag noch einmal machen zu können. All das machen überwiegend Frauen - ohne Arbeitsverhältnis und unbezahlt. 

Dieses “unsichtbar-machen” der Sorge- und Versorgungsarbeit ist fatal.

Das neoliberale „Mindset“ geht davon aus, dass Reichtum und Wohlstand durch Arbeit im Erwerbssektor geschaffen wird. Der „Fortschritt“ der Gesellschaft rührt nach dieser Logik daher, dass in allen Produktions- und Dienstleistungsbereichen die Arbeitsproduktivität stetig erhöht wird und dadurch die dafür benötigte Arbeitszeit auch bei steigendem Lebensstandard abnimmt. 

Der vierte Sektor und seine eigene ökonomische Logik 

Sorge- und Versorgungsarbeit folgen hier einer anderen ökonomischen Logik als die traditionelle Güterproduktion. Während man Produktionsprozesse von Gütern, wie bspw. Autos, bis zu einem gewissen Grad stetig optimieren kann, gilt das nicht für Care-Arbeit.  Man kann nicht stetig besser, stetig mehr oder stetig produktiver pflegen, Kinder betreuen, Wäsche waschen oder putzen, ohne dass die Arbeit selbst, sowie die Arbeitsbedingungen darunter massiv leiden. Diese Arten der Arbeit sind also außerhalb der kapitalistischen Verwertungslogik zu behandeln. 

In Zeit gerechnet ist die Sorge- und Versorgungsarbeit der größte Teil der Wirtschaft – und besteht, wie wir sehen, zu einem großen Teil aus unbezahlter Arbeit. 

Es wird also mehr unbezahlt als bezahlt gearbeitet – warum gibt man aber dieser Art der Arbeit nicht die ökonomische Stellung, die ihr zusteht?

Diese Frage stellt sich die Ökonomin Mascha Mädorin schon seit Jahren. In ihrer Forschung plädiert sie dafür, die Sorge- und Versorgungsarbeit als einen eigenen Wirtschaftssektor aufzunehmen. 

Dieser vierte Wirtschaftssektor wird, laut Mädorin, um als ein eigenständiger Sektor gehandelt zu werden, als jener definiert, der alle Arbeiten, die dieser oben angeführten ökonomischen Logik folgen, einschließt. Das heißt konkret, dass es sich hier um jegliche Arbeiten aus dem Dienstleistungssektor, im Bildungs-, Sozial- oder auch Gesundheitswesen sowie die unbezahlte Care-Arbeit handelt. Es sind also auch bestimmte Dienstleistungen, die klassischerweise sonst eher dem Tertiärsektor zugeordnet werden, hier inkludiert. Dennoch unterscheiden sich die Dienstleistungen aus dem Tertiär- und dem “vierten Sektor” nach Madörin durch ihre ökonomische Logik. Während beispielsweise Finanzdienstleistungen nicht nur der kapitalistischen Logik von stetiger Produktivitätssteigerung und daraus resultierender Profitmaximierung folgen, können Dienstleistungen wie das Haare schneiden bei einem*einer Friseur*in oder aber auch das Betreuen von Kindern nicht stetig produktiver gemacht werden. Dennoch verdienen die Arbeiter*innen in diesem Sektor eine faire Bezahlung: diese ist nicht an der Produktivitätssteigerung, sondern vielmehr an der gesellschaftlichen Relevanz der Arbeit zu messen. 

Und weiter? Lösungsansätze und Forderungen 

Diese eigene wirtschaftliche Logik der Sorgearbeit muss sichtbar gemacht werden. Eine Forderung, die daher in der Forschung diskutiert wird, ist die Aufnahme des eben besprochenen Vierten Sektors in das Bruttoinlandsprodukt. Wenngleich das BIP zu kritisieren ist, weil es eben nur die wirtschaftliche Leistung einer Gesellschaft abbildet, und alleine keinerlei Auskünfte darüber geben kann, wie der Wohlstand innerhalb dieser Gesellschaft verteilt ist, ist es dennoch für die breite gesellschaftliche Bewertung der Care-Arbeit enorm wichtig, dass dieser vierte Wirtschaftssektor abgebildet wird. Mit Aufnahme der unbezahlten Arbeit ins BIP können Verschiebungen zwischen Erwerbs- und Hausarbeit im Zeitablauf sichtbar gemacht und damit politisch diskutiert werden. 

Natürlich ist eine Aufnahme ins BIP nicht als Allheilmittel zu sehen, das auf magische Weise die Bedingungen, unter denen Reproduktive Arbeit stattfindet, verbessert. Wir wissen, dass wir die materiellen Bedingungen, unter denen wir leben, nur durch materialistische Ansätze und Forderungen verändern können. Eine dieser Forderungen stellt der Ausbau von flächendeckender Kinderbetreuung in ganz Österreich dar. Es braucht nicht nur mehr Infrastruktur in allen Bundesländern in Form von mehr Kindergärten sowie pädagogischem Personal, sondern auch einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung. Mangelnde Kinderbetreuung ist bis heute der prägendste Faktor, der Frauen in die unbezahlte Care-Arbeit drängt - was fatale Folgen in Form des Gender-Pay-Gap aber auch des Pension-Pay-Gap hat. Gleichzeitig müssen die Arbeitsbedingungen in jenem vierten Sektor enorm verbessert werden: Bessere Bezahlung, ein geringerer Betreuungsschlüssel und eine Arbeitszeitverkürzung können hier als Anfang gesehen werden, da hier sowie im gesamten Bereich der vergesellschafteten Reproduktionsarbeit auch überwiegend Frauen* tätig sind. 

Weiter muss die Kinderbetreuung auch im Privaten fair zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden. Ein Ausbau von Väterkarenz ist hier dringend notwendig. In Österreich gehen im Durchschnitt nur 2 von 10 Vätern in Karenz - was auch diese Form der Care-Arbeit allein in die Verantwortung von Frauen* drängt. Um nachhaltige Veränderungen in der Gleichstellungspolitik zu erreichen, müssen diese Arbeiten fair aufgeteilt werden. Karenzierte Männer* dürfen nicht mehr als Ausnahme gelobt werden, weil sie sich ja “so rührend um die Kinder kümmern”, sondern schlichtweg als Elternteile, die ihrer Verantwortung nachkommen. Islands Karenz-Politik hat hier wichtige Ergebnisse geliefert, die es nun auch in Österreich umzusetzen gilt. 

Insgesamt brauchte es eine Aufwertung von von Frauen* verrichteter Arbeit, egal ob diese momentan bezahlt oder unbezahlt stattfindet!