Gramsci und die Neue Rechte - A match made in hell?

Lina Ehrich

Gramscis Hegemonietheorie ist mittlerweile ein gern gesehener Gast der Neuen Rechten.  Auch in Österreich erleben wir, wie sich rechtspopulistische Parteien durch gezielte Rhetorik immer mehr Raum im öffentlichen Diskurs nehmen.¹ Sie haben erkannt, dass sich breite gesellschaftliche Umstürze nur durch nachhaltige Diskursverschiebungen erreichen lassen, denn das Unsagbare sagbar zu machen ist notwendig, um sich als Mitte der Gesellschaft zu inszenieren und dadurch “volksnah” zu erscheinen. Diese Strategie der Rechten kennen wir heute ausreichend - dafür finden wir in Österreich mehr als genügend Beispiele. Die internationale Rechte hat ihren politischen und aktivistischen Fokus innerhalb der letzten Jahrzehnte verstärkt auf diese Verschiebung des Sagbaren gelegt - und die Ergebnisse dieser Strategie sehen wir heute. Doch das war nicht immer so. 

Eine kurze Geschichte der internationalen Rechten 

Beginnen wir mit der “Traditionellen Rechten”, die sich meist unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs formierte. Ihren Handlungsrahmen sieht die “Alte Rechte” klar außerhalb des demokratischen Spektrums, auch ideologisch steht man hier offen zu seiner Nähe zum Nationalsozialismus. Man bewegt sich also bewusst außerhalb des demokratischen Rahmens und ist darum bemüht, durch eigene Aktionen die Untragbarkeit der bürgerlichen Demokratie, Verfassungsstaat und etablierten Parteien zu unterstreichen. 

Der Begriff der “Neuen Rechten”, der sich von der “Traditionellen Rechten” sowohl in Aktionismus als auch im ideologischen Gedankengut unterscheidet, bezeichnet nun rechte Gruppen, die sich ideologisch primär auf die Konservative Revolution des frühen 20. Jahrhunderts beziehen, jedoch die angestrebte gesellschaftspolitische Veränderung durch eine “Kulturrevolution von rechts” erreichen möchte.² Oft wird der Ursprung der Neuen Rechten in der französischen Nouvelle Droite gesehen, doch auch im deutschsprachigen Raum formieren sich ab den 1960er Jahren vereinzelte rechtsextreme Gruppierungen, die sich sowohl von der “Neuen Linken”³ als auch von der “Alten Rechten” abgrenzen. In ihrer Abgrenzung von der “Traditionellen Rechten”⁴ suchen sie verstärkt Gemeinsamkeiten mit dem rechten Flügel der Konservativen, die sie als Verbündete für eine Konservative Revolution sehen. Die gerade im konservativen Spektrum in Europa stark präsenten Tendenzen hin zu Radikalisiertem Konservatismus spielen diesem Gedankengut noch heute zu.⁵

 

Doch woher kommt dieses vermeintliche “Umdenken” am rechten Rand? 

1985 veröffentlicht der rechte Theoretiker Alain de Boist sein Buch "Kulturrevolution von Rechts". In diesem behauptet er, dass die internationale Rechte ihre Strategien anpassen müsse, um die ideologischen Grundpfeiler der Bewegungen sozial akzeptabel zu machen. Er argumentiert, dass dies den neuen Weg zu einer ideologisch rechten Gesellschaft ebnen würde.

Dieses Übernehmen gramscianischer Theorie bezeichnet de Boist als “Metapolitik”, die noch heute von verschiedenen rechten Theoretikern als Instrument zur Verankerung und Legitimierung der eigenen politischen Stellung herangezogen wird. 

Es ist eine zeitgenössische Analyse, wenn man die Geschichte der internationalen Rechten betrachtet. Denn nicht nur de Boist widmet sich damals Gramscis Theorien, einige weitere rechte Theoretiker schreiben und verlegen ebenfalls Titel, die eine kulturelle Revolution von rechts als notwendig erachten. Zu einer Zeit, in der die “Traditionelle Rechte” immer mehr an Zuspruch aus den eigenen Reihen verliert, konstituiert sich damit eine neue rechte Öffentlichkeit, die ihre Legitimation aus der intellektuellen Rechten zieht. 

Wie kommt man jedoch auf die “Kulturrevolution”, einen Begriff, der ja vom italienischen Marxisten Antonio Gramsci - also alles andere als einem rechten Ideologen - geprägt und angewandt wird? 

“Für diese geistige Revolution sieht Gramsci eine bestimmte zivilgesellschaftliche Gruppe als besonders gefragt an: Die Intellektuellen. Ihre Aufgabe ist es nach Gramsci, das politische Denken der Gesellschaft durch diskursive Praktiken, also das Sagbar machen von bisher Unsagbarem, an die hegemonialen Umbrüche anzupassen. 

Die Neue Rechte macht sich genau diese Intellektuellen zu Nutze. Neben den eigenen Zeitschriften sehen wir auch immer öfter, dass sich die Themen der Neuen Rechten und ihre Narrative auch in Mainstream-Medien finden."

Verwirrte Kulturrevolution? 

Gramscis Theorie einer Kulturrevolution basiert auf den Erfahrungen der europäischen Revolutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts - allen voran die Russischen Revolutionen 1917. 

Gramsci schließt aus diesen Erfahrungen, dass eine politische Revolution auch nur dann breit gesellschaftlich getragen wird, sofern eine weitere Kategorie zwischen Basis und staatlichem Überbau aktiviert wird: die Zivilgesellschaft. Um politische Macht herzustellen, ist die Zivilgesellschaft essentiell, denn ohne die hier stattfindenden Aushandlungskämpfe kann die neue politische Hegemonie nicht gefestigt und dadurch nicht gesellschaftlich tragbar gemacht werden. Einer politischen Revolution muss also stets eine geistige Revolution vorangehen. Für diese geistige Revolution sieht Gramsci eine bestimmte zivilgesellschaftliche Gruppe als besonders gefragt an: Die Intellektuellen. Ihre Aufgabe ist es nach Gramsci, das politische Denken der Gesellschaft durch diskursive Praktiken, also das Sagbar machen von bisher Unsagbarem, an die hegemonialen Umbrüche anzupassen. 

Die Neue Rechte macht sich genau diese Intellektuellen zu Nutze. Neben den eigenen Zeitschriften sehen wir auch immer öfter, dass sich die Themen der Neuen Rechten und ihre Narrative auch in Mainstream-Medien finden.

Und weiter? 

Wir alle sehen täglich, dass die Strategien der Neuen Rechten gerade in Zeiten multipler Krisen auf fruchtbaren Boden fallen. Vieles von dem, was heute von Kickl und Co in Talkshows, Zeitungsinterviews oder Tiktoks gesagt wird, ist Produkt der oben beschriebenen Diskursverschiebung nach Rechts. Sich vor laufenden Kameras als “Volkskanzler” zu bezeichnen, und diese Aussage daraufhin von der medialen Öffentlichkeit reproduziert zu bekommen, ist eines von vielen Beispielen für die Wirksamkeit dieser rechten Strategie - doch was hierbei oft (ob bewusst oder unbewusst) übersehen wird, ist der Handlungsspielraum der politischen Linken. Ein Teil unserer politischen Bildungsarbeit muss sein, aufzuzeigen, wie Rechte Diskursverschiebungen strukturell planen und Schritt für Schritt durchführen - aber wir müssen uns bewusst darüber sein, dass Diskursverschiebungen keine Einbahnstraße darstellen. Wenngleich der Appell á la Kulturrevolution in den Köpfen alleinstehend zu kurz greift, so liegt es dennoch an uns, auch auf dieser Ebene rechte Strategien die Stirn zu bieten. 

 

Anmerkungen

¹ Zogholy, Kulturpolitische Strategien der FPÖ und die Hegemonietheorie nach Antonio Gramsci

² Mehr zu Kulturrevolution weiter unten im Text.

³ Der Begriff “Neue Linke” entsteht aus der Student:innenbewegung der späten 1960er Jahre.

⁴ Die Begriffe “Traditionelle Rechte” und “Alte Rechte” werden oft gleichgesetzt. 

⁵ Vgl. Strobl, Radikalisierter Konservatismus (2021); Biebricher, Mitte Rechts. Zur internationalen Krise des europäischen Konservatismus (2023) 

 

Literatur

“Kulturkampf von Rechts” → “Ideenklau von Links” 

“Metapolitik” 

https://taz.de/Strategien-der-Neuen-Rechten/!5512485/ 

https://taz.de/Debatte-Identitaere-Bewegung/!5531561/ 

https://www.bpb.de/themen/Debatte Identitäre Bewegung: Sie wollen das Denken verändern - taz.derechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/284268/was-die-neue-rechte-ist-und-was-nicht/ 

https://solidaritaet.info/2022/10/wenn-rechte-gramsci-lesen/ 

https://www.endstation-rechts.de/news/kulturrevolution-von-rechts-mit-der-metapolitik-die-macht