Geschlechterverhältnisse im Realsozialismus

„Ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus, ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau“: Mit diesen Worten brachte die russische Revolutionärin Alexandra Kollontaj die Verbindung von Klassenfrage und Geschlechterfrage auf den Punkt, beides kann nicht getrennt voneinander gelöst werden. Aber auch innerhalb der Arbeiter*innenbewegungen musste diese Erkenntnis immer wieder erkämpft werden, denn auch diese waren und sind nicht befreit von patriarchalen Denkmustern und Strukturen. 

Auch Marx‘ Analysen wurden im Nachhinein von feministischen Theoretikerinnen dafür kritisiert, dass die Unterdrückung von Frauen im Kapitalismus, allen voran durch ihre Verrichtung der unbezahlten Reproduktionsarbeit, kaum Beachtung fand. Dabei waren die Abwertung und Unterdrückung von Frauen ausschlaggebend für die Entwicklung des Kapitalismus, denn das System selbst profitiert maßgeblich von der unbezahlten Arbeit von Frauen.

In diesem Kontext waren es vor allem die proletarischen Frauenbewegungen, die einen wegweisenden Beitrag leisteten, um diesen Aspekt in den Kampf gegen den Kapitalismus miteinzubeziehen. Ihr Einsatz und ihre Forderungen trugen dazu bei, die Verbindung zwischen Klassenkampf und Geschlechterbefreiung deutlich zu machen, auch innerhalb der Arbeiter*innenbewegung. Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, verbesserte Arbeitsbedingungen aber auch die Frage nach Mitbestimmung standen in der proletarischen Frauenbewegung im Vordergrund. Dem ist es zu verdanken, dass in vielen realsozialistischen Staaten neben der Veränderung der Produktionsverhältnisse auch die Frage der Gleichberechtigung umfassend diskutiert wurde und Maßnahmen der Gleichstellungspolitik ergriffen wurden. Doch inwiefern haben es realsozialistische Staaten geschafft, den ungleichen Geschlechterverhältnisse entgegenzuwirken und konnten diese tatsächlich überwunden werde?

 

Sowjetunion- Fortschritt und Gegenwind in der Gleichstellungspolitik

Die Jahre nach der russischen Revolution von 1917 markieren in der Sowjetunion einen entscheidenden Zeitraum für frauenpolitischen Maßnahmen, insbesondere unter der Führung von Alexandra Kollontai. Früh nach der Revolution wurden Frauen formal gleichgestellt, und das Frauenwahlrecht wurde in der Verfassung verankert. Ein zentrales Anliegen der Gleichstellungspolitik war die Integration von Frauen in die Lohnarbeit und die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. Als Volkskommissarin für Sozialfürsorge setzte Kollontai wegweisende Arbeitsrechtsgesetze durch, darunter den 8-Stunden-Tag, Sozialversicherung, Mutterschaftsurlaub, Stillzeit während der Arbeit und das Verbot von Kinderarbeit und Nachtarbeit für Frauen.

Kollontai trieb auch gesellschaftliche Veränderungen voran, darunter die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Förderung der Vergesellschaftung von Hausarbeit. Die Gründung der ersten Frauenabteilung (Schenotdel) innerhalb der Kommunistischen Partei war ein historischer Schritt, um Frauenangelegenheiten in den politischen Diskurs einzubringen und das Bild der "Neuen Frau" zu fördern. Damit war der „Schenotdel“ weltweit die erste Regierungsbehörde, die sich ausschließlich mit den Angelegenheiten von Frauen befasste. Die aktive Verbreitung der neuen Frauenrechte, wie auch das Bild der „neuen Frau“ unter die weibliche Bevölkerung war eine der Hauptaufgaben des „Schenotdel“. 

 

“Dabei wurde jedoch übersehen, dass Frauen weiterhin unter einer massiven Doppelbelastung litten, da die Hausarbeit neben der Erwerbstätigkeit (für die sie meist weniger erhielten als Männer) nach wie vor mehrheitlich von Frauen übernommen wurde.”

Die "Neue Frau" sollte nicht nur aus den Zwängen der „Haussklaverei“, wie Kollontai es nannte befreit und gleichwertig in den Arbeitsmarkt integriert werden, sondern es ging auch um die Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse. Kollontai betonte eine emanzipative Sexualmoral und die Selbständigkeit der Frau als eigenständige Persönlichkeit mit Interessen, die über Haus, Familie und Liebe hinausgingen. Trotzdem wurde auch die Mutterschaft nach wie vor als eine unabdingbare Pflicht für Frauen verstanden. Diese radikalen Ansätze stießen jedoch auf Widerstand, sowohl innerhalb der Bolschewiki als auch in der Bevölkerung. Der Vorwurf der Spaltung der Arbeiterklasse und die Sorge vor politischer Kritik führten zu einer politischen Reaktion gegen die Frauenemanzipation.

Die 1930er Jahre brachten einen Kurswechsel mit sich. Geprägt war diese Zeit von einer Massenrekrutierung weiblicher Arbeitskräfte. Die Frauenfrage wurde unter Stalin somit als gelöst erklärt, basierend auf hohen Arbeitsquoten, Kinderbetreuungseinrichtungen und Zugang zu Bildungseinrichtungen. Dabei wurde jedoch übersehen, dass Frauen weiterhin unter einer massiven Doppelbelastung litten, da die Hausarbeit neben der Erwerbstätigkeit (für die sie meist weniger erhielten als Männer) nach wie vor mehrheitlich von Frauen übernommen wurde. Die politische Teilhabe von Frauen beschränkte sich hauptsächlich auf lokale Ebenen, und höhere Führungspositionen blieben ihnen weitgehend verwehrt. In den 1930er Jahren wurden Schwangerschaftsabbrüche erneut kriminalisiert und Scheidungsgesetze verschärft. Trotzdem wurde Frauen besonders bei Paraden und politischen Feiern inszeniert, um die proklamierte Gleichstellung zu feiern.

Von der DDR bis Kuba- Schritte zur Gleichberechtigung

Die Sowjetunion fungierte als Vorbild für viele nachfolgende realsozialistische Länder, auch in Bezug auf die Gleichstellungspolitik. Ähnliche Maßnahmen wurden ergriffen, und ähnliche Diskussionen zur „Frauenfrage“ fanden statt. So wurde in der DDR intensiv über die Klassenspaltung und die Sinnhaftigkeit gezielter Frauenförderung innerhalb der Partei debattiert. Trotzdem wurde schließlich auch hier, beeinflusst von starken Frauenorganisationen, durch gezielte Maßnahmen die Gleichwertigkeit von Mann und Frau angestrebt, um Familie, Beruf und sozialistisches Engagement zu vereinbaren.

In den Anfangsjahren der DDR war die Distanzierung von der Vorstellung der Frau als reinen Hausfrau und Mutter präsent. (Mit der Zeit traten aber auch hier klassischere Rollenbilder wieder in den Vordergrund) Die Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt spielte eine maßgebliche Rolle, und von Anfang an wurde das "Recht der Frau auf Arbeit" betont. Im Gegensatz dazu wurden im Westen am Leitbild der Hausfrau und Mutter festgehalten. Die Forcierung der Gleichstellung hatte nicht nur ideologische Gründe, sondern war auch eine Reaktion auf den Verlust vieler Männer während des Zweiten Weltkrieg. Frauen spielten eine entscheidende Rolle im Wiederaufbau von Städten und Infrastrukturen. Bereits 1950 waren 50% der Frauen erwerbstätig, bis in die 1980er stieg diese Quote auf über 80%. Im Vergleich dazu lag die Frauenerwerbsquote in der BRD in den 1980ern nur bei etwa 30%. Trotz hoher Erwerbsquoten muss man aber auch sehen, dass Frauen oft Berufe in Landwirtschaft und Industrie ausübten, die geringer bezahlt wurden als z.B. technische Berufe, in denen überwiegend Männer arbeiteten. Trotzdem waren die geschlechterspezifischen Lohnunterschiede im Vergleich zur BRD deutlich geringer. Die hohe Zahl an Beschäftigten Frauen, wäre nicht möglich ohne weitere sozialpolitische Maßnahmen, wie etwa der Ausbau des Kinderbetreuungsnetzes. Letztlich zeigt sich allerdings auch in der DDR, dass Frauen mit der Rolle als Arbeiterin, Mutter und Zuständige für den Haushalt oft unter einer Doppelbelastung litten.

Geht man einen Schritt weiter in der Weltkarte des Realsozialismus, zeigt sich auch etwa in Kuba, wie frauenpolitische Maßnahmen von Beginn an ergriffen wurden. Während der kubanischen Revolution organisierten sich Frauen intensiv, vor allem in Versorgungs- und Basisarbeiten. (auch wenn hier der rein weibliche Bataillon Mariana Grajales nicht unerwähnt bleiben soll) Trotz ihrer entscheidenden Beiträge erhielten Frauen oft nicht die gleiche Anerkennung wie ihre männlichen Mitstreiter. Doch forderten Frauen aktiv nach dem Sieg der Revolution 1959 Mitsprache bei der Gestaltung einer neuen sozialen Ordnung.

Vorurteile gegenüber weiblicher Berufstätigkeit und der Abbau traditioneller Rollenbilder waren auch innerhalb vieler Frauenorganisationen Gegenstand kontroverser Diskussionen. Frauen, basierend auf ihren eigenen Widerstandserfahrungen, setzten sich schließlich für die Gründung einer eigenen Frauenorganisation ein. Trotz anfänglichem Widerstand wurde von Fidel Castro selbst die Bündelung der weiblichen Kräfte und die Mobilisierung im Rahmen eines starken Kollektivs befürwortet. Im Jahr 1960 wurde die „Federación de Mujeres Cubanas“ gegründet, erreichte großen Zuwachs und zählte 1990 80% der kubanischen Frauen zwischen 14 und 65 Jahren als Mitglieder.

Die Maßnahme der Gleichstellungspolitik standen, ähnlich der Sowjetunion oder der DDR, im Sinne der Verbesserung der materiellen Basis für Frauen und ihre Familien: Zugang zur Lohnarbeit, Ausbau des staatlichen Betreuungs- und Dienstleistungsangebots sowie auch Zugang zu Bildung standen am Programm. Die ideologische Bewusstseinsbildung wurde vor allem von der Federacion de Mujeres vorangetrieben und auch die Doppelbelastung wurde in Kuba wahrgenommen und es wurde versucht, dem entgegenzuwirken. Das "Familiengesetz" von 1975 manifestierte die Definition von Aufgaben und Pflichten für beide Geschlechter in Familie und Haushalt und erhielt dadurch eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit.

Bis heute nimmt Kuba eine Vorreiterrolle bezüglich der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Lateinamerika ein. Es ist etwa das Land mit der höchsten Frauenerwerbsquote, dem höchste Anteil an Frauen in Hochschulen und im Parlament und hat das liberalste Abtreibungsrecht der Region. Doch eine vollkommene Überwindung der ungleichen Geschlechterverhältnisse konnte bisher nicht erreicht werden, der Kampf geht demnach weiter. Zukünftig gesetzte Maßnahmen sind etwa eine konstante Erfassung von Femiziden oder etwa die Vermittlung geteilter Verantwortlichkeiten (wie etwa im Haushalt) auf allen Bildungsebenen. Die Federacion de Mujeres ist nach wie vor eine Massenorganisation, die sich für die Gelichberechtigung von Frauen einsetzt.

 

Der Kampf um Gleichberechtigung ist ein Kampf von uns allen!

Sieht man sich die Geschlechterverhältnisse im Realsozialismus an, zeigt sich klar und deutlich: es wurde viel getan. Trotz ideologischer Streitigkeiten innerhalb der eignen Reihen, war es vor allem der Einsatz etlicher Frauen und Frauenorganisationen, welche auf die bestehende Ungleichberechtigung hinwiesen und Maßnahmen dagegen ergriffen. Es waren frauenpolitische Meilensteine, die in vielen realsozialistischen Ländern umgesetzt wurden. Doch konnte auch hier von einer endgültigen Gleichstellung von Frauen und Männern letztendlich nicht die Rede sein. Die Eingliederung von Frauen in den Arbeitsmarkt hat nicht zu der erhofften Änderung von tief verankerten Rollenbildern und zur tatsächlichen Gleichstellung geführt, doch waren Frauen bis zuletzt auch in der Lohnarbeit nicht vollständig gleichberechtigt. Das führte dazu, dass Frauen oft von einer massiven Doppelbelastung durch das Schupfen von Lohn- und Hausarbeit betroffen waren.

Der Anspruch war zwar da, doch sehen wir an genau diesen Beispielen, dass für einen Sozialismus, wie wir ihn uns vorstellen, weitergedacht werden muss. Eine tatsächliche Gleichberechtigung in der Lohnarbeit muss eine Grundbedingung sein, um dem langfristigen Bestehen von ungleichen Geschlechterverhältnissen den Nährboden zu entziehen. Doch müssen genauso gesellschaftspolitische Maßnahmen gesetzt werden und Bewusstseinsarbeit geleistet werden, diese Neuordnung gesellschaftlich zu verankern. Es ist ein erbitterter Kampf, denn die derzeitigen patriarchalen Umstände nehmen auch Einfluss auf die eigene Bewegung, wie sich auch in der Geschichte gezeigt hat. Es waren mehrheitliche Organisationen von Frauen, die für ihre Rechte eingestanden sind und bestehende Ungerechtigkeiten angeprangert haben. Dabei wäre eine gleichberechtigte Welt, eine Welt, von der wir alle profitieren würden. Deswegen soll und muss der Kampf um Gleichberechtigung nicht nur von Frauen geführt werden, sondern muss ein Kampf von uns allen sein!