Der Faschismus im Kopf

Jakob Rennhofer

Wenn wir das Wesen des Faschismus – und sei es nur im Ansatz – begreifen möchten, kann eine rein politökonomische Betrachtungsweise kaum ausreichend sein. Es gilt auch jene innerpsychischen Mechanismen unter die Lupe zu nehmen, die in den faschisierten Subjekten gewirkt haben und immer noch wirken.

Jede antifaschistische Strategie bedingt auch automatisch die Frage, womit man es bei dem, wogegen man sich richtet – nämlich dem Faschismus – zu tun hat. Unter diesem Aspekt ist es kaum verwunderlich, dass Theorien des Faschismus innerhalb des intellektuellen Diskurses der Linken einen zentralen Platz einnehmen. Ebenso wenig verwunderlich ist es, dass der Faschismus, insofern er aus einer materialistischen Perspektive betrachtet wird, hauptsächlich auf seine ökonomischen Ursachen untersucht wird. Und tatsächlich ist jede Analyse des Faschismus, die sich nicht mit seinen materiellen Bedingungen auseinandersetzt, unzureichend. Nicht umsonst lautet eines der bekanntesten Zitate von Max Horkheimer: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“. 

Auf der anderen Seite ist es jedoch ebenso unzureichend, den Faschismus ausschließlich anhand seiner ökonomischen Faktoren zu analysieren. Um verstehen zu können, warum sich Millionen von Menschen einer solch repressiven Ideologie unterwarfen, müssen wir einen Blick auf die innerpsychischen Dynamiken werfen, die der Faschismus in diesen Menschen befördert hat. Diese „psychologische“ Sichtweise stellt in der linken Theorie kein Novum dar. Josef Hindels, einer der mit Abstand wichtigsten linken Intellektuellen mit direktem Bezug zur Sozialistischen Jugend, hat in seiner Schrift „Warum sind wir Internationalisten?“ bereits festgestellt:

„Eine der wichtigsten Aufgaben sozialistischer Geistesarbeit muss es sein, die Synthese zwischen den soziologischen Erkenntnissen des Marxismus und den psychologischen der modernen Seelenforschung, vor allem der Psychoanalyse und Individualpsychologie, herauszuarbeiten.”

Und in der Tat: Die Psychologie – oder, besser gesagt, die Psychoanalyse – ist aus der sozialistischen Theorie des 20. Jahrhunderts kaum wegzudenken. Aus dem großen Repertoire linker psychoanalytischer Theorie möchte ich nun einige wichtige Theorien vorstellen, die sich direkt oder indirekt mit den psychischen Wirkungsmechanismen des Faschismus auseinandersetzen. Davor soll allerdings geklärt werden, was die Psychoanalyse von der Psychologie als solcher unterscheidet und warum sich die Psychoanalyse besonders für eine Faschismusanalyse eignet.

 

Sigmund Freud, die Massen und die Psychoanalyse

Sigmund Freud (1856 – 1939) gilt bekannterweise als Begründer der Psychoanalyse. Mit seinem Werk hat er nicht nur die moderne Psychologie maßgeblich mitgeprägt (ein Faktum, welches die moderne Psychologie gerne leugnet), sondern auch eine eigene Disziplin geschaffen, die bis heute von hoher Relevanz ist. Im Unterschied zur Psychologie interessiert sich die Psychoanalyse – sehr verkürzt dargestellt - für das unbewusste Innenleben des Menschen, also genau für jene Teile, die sich mit den herkömmlichen methodischen Mitteln der akademischen Psychologie und teilweise auch der Neurowissenschaft nicht messen lassen. Somit steht die Psychoanalyse weitgehend in der Tradition der marxistisch orientierten kritischen Sozial- und Geisteswissenschaften, die sich ebenfalls der reduktionistischen Ansicht, dass Erkenntnisgewinn ausschließlich durch direkt messbare und rasch erkennbare Tatsachen generiert werden kann, widersetzen.

Zurück zum Faschismus: Freud selbst hat keine Theorie des Faschismus vorgelegt, wenngleich er selbst von der Barbarei des Nazifaschismus unmittelbar betroffen war und ins Londoner Exil gehen musste. Eben so wenig sah Freud die Psychoanalyse unmittelbar als etwas Politisches an, Zeit seines Lebens verwehrte er sich gegen diese Zuschreibung. Erstaunlicherweise war es dennoch Freud selbst, der in seinen Schriften den Grundstein für psychoanalytische Interpretationen politischer Phänomene legte, so z.B. in seiner Schrift „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ aus dem Jahr 1921. 

Gleich zu Beginn stellt Freud fest, dass der Unterschied zwischen Individual- und Sozialpsychologie ein fiktiver sei, da das individuelle Bewusstsein maßgeblich durch menschliche Beziehungen und die Gesellschaft geprägt werden würde. Freud beschäftigt sich im weiteren Text kritisch mit der „Massenpsychologie“ Gustav Le Bons, um zu einer eigenen Theorie der „Massen“ zu gelangen. Die grundsätzliche Frage, die sich Freud stellt, lautet: „Was hält Massen (man denke bspw. an faschistische Massen) eigentlich zusammen?“. Freuds Antwort lautet: die Libido. Libido im Sinne Freuds darf nicht einfach als Synonym zu „Lust“ verstanden werden. Die Libido, die laut Freud „alles in der Welt zusammenhält“, stellt zwar den ursprünglichen Sexualtrieb dar, ist aber insofern in allen Beziehungen und Weltverhältnissen aktiv, als eine Umwandlung (Sublimierung) der Libido von der sexuellen Energie hin zur kreativen, sozialen Energie, die für jede zivilisierte Gesellschaft notwendig ist. Man könnte also – wieder einmal verkürzt – sagen, dass die Libido überall dort aktiv ist, wo eine positiv besetzte Bindung zu anderen Menschen oder Objekten vorherrscht. 

Die Libido führt in der Masse dazu, dass alle Differenzen, die zwischen den Individuen der Massen liegen, temporär liquidiert werden und der „Führer“ der Masse idealisiert wird. Der Narzissmus, der dem Individuum zu Grunde liegt, wird auf den Führer der Masse gerichtet bzw. ausgelagert, somit erkennt sich das Individuum im Führer wieder und himmelt ihn an. Das führt dazu, dass die Masse ihr gesamtes Ich an die Stelle des Objekts (den Führer) setzt und es damit zu einer kollektiven Identifizierung wie Idealisierung kommt.

Diese „Theorie der Masse“ kann nicht den Anspruch auf eine Faschismustheorie erheben, ebnet jedoch – wie bereits erwähnt – den Weg für weitere psychoanalytische Betrachtungen.

 

Wilhelm Reich: Faschismus als sexuelles Phänomen

Wohl eine der bekanntesten psychoanalytischen Betrachtungen zum Faschismus stammt aus der Feder von Wilhelm Reich. Reich, der aufgrund seiner Thesen sowohl aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) als auch aus der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) ausgeschlossen wurde, vertrat in seiner Schrift „Massenpsychologie des Faschismus“ aus dem Jahr 1933 die Ansicht, dass das „quasi-neurotische Verhalten der Massen“, wie es Freud beschrieben hat, ausschließlich auf sexuelle Frustration innerhalb der bürgerlich-patriarchalen Familie zurückzuführen sei. Während Freud in der Umleitung bzw. der Sublimierung des Triebes die Ursprungsleistung jeder Zivilisation erkannte, stellte diese Unterdrückung für Reich ein Repressionsinstrument der herrschenden Klasse dar. Laut Reich sei der Sexualtrieb des Menschen eine Quelle der Neugier und Kreativität, die innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse notwendigerweise unterdrückt werden muss. Diese Unterdrückung würde den Sexualtrieb so weit pervertieren, dass er in der Form eines sadomasochistischen Begehrens wieder auftauchen würde und diese Unterdrückung somit den idealen Subjekttypus für den Faschismus generieren würde. Dieser „Sadomasochismus“ zeigt sich einerseits in dem Bedürfnis, sich einer repressiven Gesellschaftsordnung wie dem Faschismus zu unterwerfen (Masochismus) und andererseits all jene bestrafen zu wollen, die innerhalb dieser Gesellschaftsordnung keinen Platz haben oder sich dieser widersetzen (Sadismus). Die Lösung für Reich liegt demnach in einer Befreiung der Sexualität, die wiederrum nur in einer sozialistischen Gesellschaft vollends erreicht werden kann.

Auch wenn Reichs radikale Vermischung der Sphären des Marxismus und der Psychoanalyse auf den ersten Blick überzeugend klingen mag, so setzt sie einige Annahmen voraus, die weder Theorie noch Praxis entsprechen. Die Liberalisierungswelle der Sexualpolitik, wie sie nach 1968 eingetreten ist, hat die faschistischen Tendenzen innerhalb der westlichen Demokratien nicht wirklich auflösen können, zumindest scheint es so, als würde zwischen diesen beiden Komponenten kein Zusammenhang bestehen. Abgesehen davon, dass Reich mit seiner Theorie einigen Grundannahmen von Freud widerspricht, haben spätere Psychoanalytiker*innen wie Jacques Lacan darauf hingewiesen, dass der vom Über-Ich induzierte Zwang nach „freier Sexualität“ („Genieße!“) ebenfalls zur Qual für das Subjekt werden kann.

Es ist daher auch kaum verwunderlich, dass Wilhelm Reich spätestens ab den 1940er-Jahren in eine Esoterik abgedriftet ist, die so gut wie nichts mit der Psychoanalyse zu tun hat. Erschreckend ist ebenfalls die Tatsache, dass das Werk Wilhelm Reichs Sexualstraftätern wie Otto Mühl als Legitimationsgrundlage ihrer widerlichen Taten diente. 

 

Erich Fromm, Theodor W. Adorno und der autoritäre Charakter

Ungefähr zur selben Zeit wie Wilhelm Reich begannen die an Marx und Freud geschulten Vertreter*innen der sogenannten „Kritischen Theorie“ sich mit dem Faschismus auseinanderzusetzen. Das 1923 durch den Kaufmann Hermann Weil und dessen Sohn Felix Weil gegründete „Institut für Sozialforschung“ (IfS) in Frankfurt am Main unternahm – besonders nach der Übernahme der Leitung durch Max Horkheimer 1931 – den Versuch, den klassischen Marxismus um Erkenntnisse der Psychoanalyse zu erweitern. Nach der Machtergreifung der Nazifaschisten in Deutschland wurde die Arbeit des Instituts im Exil, vor allem in den USA, fortgeführt, bis es 1951 in Frankfurt wiedereröffnet wurde.

Ein Vertreter der „Frankfurter Schule“, der als besonders mit der Theorie Freuds bewandert galt, war der Psychologe Erich Fromm. 1929/1930 führte Fromm die „Berliner Arbeiter- und Angestelltenerhebung“ durch. Für die Studie wurden tausende Fragebögen mit 271 Fragen ausgegeben, bis 1931 waren es schließlich ca. 1100 Fragebögen, die beantwortet wurden. Aufgrund der Machtübernahme der Nazis konnten Fromm und sein Team die Fragebögen nicht fertig auswerten, bei der Flucht in die USA ging ca. die Hälfte der Fragebögen verloren, weswegen die Studie erst 1980 mit dem Titel „Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches“ vollständig veröffentlicht wurde. 

In der Studie kristallisierten sich laut Fromm drei Charaktertypen raus: die radikalen, die autoritären und die kompromissbereiten Charaktere. Erstaunlich war die Tatsache, dass sich unter den befragten Mitgliedern der KPD und SPD nur 15% als „revolutionär“ erwiesen, während 25% den „autoritären“ Charaktertypen zugeordnet wurden. Einen Unterschied zwischen KPD und SPD gab es übrigens auch in der Übereinstimmung des Charaktertyps mit der politischen Überzeugung: Während diese Übereinstimmung bei der KPD 27% betrug, waren es in der SPD nur 5%. Mit seiner Studie wollte Fromm zeigen, dass viele ehemals innerhalb der politischen Linken organisierte Arbeiter*innen bereits einen Charaktertypus aufwiesen, der es relativ leicht ermöglichte, die symbolische Struktur der Nazi-Ideologie zu inkorporieren. Aufgrund der politischen Umstände blieb die Studie allerdings rudimentär und Fromm konnte abseits seines Charaktermodells keine genaue psychopolitische Analyse des Faschismus vorlegen.

Sein Forschungskollege Theodor W. Adorno führte fast zwei Jahrzehnte später eine ähnliche Studie im Exil in den USA mit dem Titel „The Authoritarian Personality“ durch. Anhand der Forschungsergebnisse stellte Adorno fest: Die „autoritären Persönlichkeiten“, die sich dem Faschismus nicht nur unterwarfen, sondern diesen mit Freude bejubelten, sind von einer enormen „Ich-Schwäche“ geprägt. 

An dieser Stelle ist es Zeit, Freuds bekanntes Instanzenmodell der Psyche in aller Kürze zu rekapitulieren. Die Psyche besteht laut Freud aus drei Instanzen, die im Subjekt wirksam sind: Das Es, das Über-Ich und das Ich. Das Es ist das unbewusste Bündel an zum Großteil sexuell-aggressiven Trieben, während das Über-Ich die Instanz des „Gesetzes“, also der Norm und der Moral, darstellt. Das Über-Ich stellt dennoch keine Instanz der Vernunft dar, da es das Subjekt pausenlos mit Forderungen und Ansprüchen bombardiert, denen man unmöglich immer nachkommen kann. Die „vernünftige“ Instanz stellt das „Ich“ dar, das versucht, zwischen diesen beiden Antipoden zu vermitteln. Den faschisierten Subjekten gelingt es laut Adorno nicht, diese vermittelnde Instanz aufrechtzuerhalten, was sie zu schwachen „Charakteren“ mache. Schuld daran sei u.a. die lieblose und kalte Kindheit, die viele Menschen in der bürgerlich-patriarchalen Familie erleben mussten. Um dieses schwache „Ich“ auszugleichen, nehmen die „autoritären Persönlichkeiten“ die Struktur des Faschismus auf, um sich von der traumatischen Schwäche ihres eigenen Ichs abzukapseln. 

Um die Eigenschaften der „autoritären Persönlichkeiten“ genauer zu erklären, entwarfen Adorno und seine Mitarbeiter die sogenannte „F(aschismus)-Skala“ – in ihr sind alle relevanten, gemessenen Eigenschaften vereint. Hier nun einige Punkte der F-Skala:

Koventionalismus: Autoritäre Persönlichkeiten überidentifizieren sich mit den herrschenden, faschistischen Normen.

Autoritäre Unterwürfigkeit & Autoritäre Aggression: Autoritäre Persönlichkeiten unterwerfen sich der faschistischen Ideologie und „dem Führer“, entwickeln aber aufgrund dieser Unterwürfigkeit dennoch Hassgefühle ihnen gegenüber. Um dies zu kompensieren, wird die Wut auf eine andere Gruppe ausgelagert, die vom faschistischen System verteufelt wird.

Anti-Intrazeption: Autoritäre Persönlichkeiten kapseln sich aus Angst vor einem Kontrollverlust radikal von ihren Empfindungen und ihren Gefühlen ab.

Aberglaube: Autoritäre Persönlichkeiten sind anfällig für Verschwörungsideologien und Esoterik.

Machtdenken und Robustheit: Autoritäre Persönlichkeiten überidentifizieren sich mit dem „Führer“, sehen sich selbst aber zugleich als ideellen Durchschnitt der Gesellschaft an. Auch hier herrscht eine Art „Sadomasochismus“ vor: Durch die Idee einer „mittleren Position“ im faschistischen Gefüge, kann sich das faschisierte Subjekt dem Führer unterwerfen, zugleich aber auch all jene, die in der gesellschaftlichen Rangordnung unter ihm stehen, unterdrücken. 

Destruktivität und Zynismus: Die „autoritäre Persönlichkeit“ verhält sich aggressiv und bösartig, in dem Glauben, dass alle anderen Menschen auch so handeln würden.

Projektivität: Da sich die autoritären Persönlichkeiten von ihrem eigenen Innenleben abkapseln, werden Bestrebungen und Empfindungen an eine äußere Gruppe projiziert. 

Sexualität: Die „autoritäre Persönlichkeit“ beschäftigt sich ausgiebig und fast zwanghaft mit dem angeblichen sexuellen Verhalten der verfeindeten Gruppe, da der Zugang zur eigenen Sexualität versperrt ist. 

Der Zugang zum eigenen Körper ist den soldatischen Männern fremd: Er ist immer davon gefährdet, zu zerfallen. Soldatische Männer kompensieren daher ihren eigenen fehlenden Körperumgang – dazu gehört auch ihre Sexualität – mit Grausamkeit & Gewalt."

Mit den hier genannten Eigenschaften im Rahmen der „F-Skala“ ist es Adorno & Co. auf bahnbrechende Art und Weise gelungen, die psychischen Dynamiken, die den Faschismus gestützt haben, zu untersuchen. Allerdings kann die F-Skala in dieser Form vieles nicht erklären – das zeigt sich auch u.a. daran, dass sie nie wirklich zum Abschluss kam und immer wieder neue Eigenschaften hinzugefügt werden mussten. Dennoch stellt Adornos Arbeit meines Erachtens die erste direkte, theoretisch fundierte Verbindung zwischen psychoanalytischen Einsichten und der Faschismustheorie dar.

 

Klaus Theweleit: Faschismus als soldatische Männlichkeit

Der Faschismus wurde – zumindest im 20. Jahrhundert – hauptsächlich durch Männer getragen und verantwortet. Insofern stellt sich die Frage, welcher Männlichkeitstypus sich in einem radikal patriarchalen System wie dem Faschismus durchgesetzt hat. Und genau damit hat sich der deutsche Literaturwissenschaftler & Kulturtheoretiker Klaus Theweleit in den 1970er Jahren auseinandergesetzt. In seinem Standardwerk „Männerphantasien“ hat sich Theweleit mit dutzenden Romanen & Memoiren von deutschen Freikorpssoldaten beschäftigt, die in der Zwischenkriegszeit mit Gewalt & Terror gegen die politische Linke vorgingen. Diese Literatur spielte eine wichtige Rolle im NS-Regime, viele Autoren waren ebenfalls hochrangige Funktionäre der NSDAP.

Wie wir bereits bei Adorno gesehen haben, sind „autoritäre Persönlichkeiten“ von ihrer Gefühlswelt abgeschnitten. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Theweleit zuallererst auffällt, dass in der Freikorpsliteratur kaum von Liebe oder Freundschaft geschrieben wird: Wenn menschliche Beziehungen erwähnt werden, dann hauptsächlich die Kriegskameradschaft oder das Verhältnis zu Tieren. Der „soldatische Mann“ ist für Theweleit ein „Körperpanzer“: Gefühllos, kalt und irrsinnig diszipliniert. Der Körperpanzer ist deswegen notwendig, da der „soldatische Mann“ von der unbewussten Angst vor dem Zusammenbruch oder gar der Zerstückelung des eigenen Körpers getrieben ist. Der Zugang zum eigenen Körper ist den soldatischen Männern fremd: Er ist immer davon gefährdet, zu zerfallen. Soldatische Männer kompensieren daher ihren eigenen fehlenden Körperumgang – dazu gehört auch ihre Sexualität – mit Grausamkeit & Gewalt. Das Trauma vor dem eigenen Blut und der eigenen Scheiße, so Theweleit, wird durch das Zerschlagen des politischen Gegners in einen roten Brei kompensiert. „Die andern, außen, sind der blutige Matsch, nicht ich.“

Weiters untersuchte Theweleit das Frauenbild der Männer – auch hier erkennt er eine Angst vor der ungezügelten, weiblichen Sexualität, die Silvia Federici einige Jahre später auch in „Caliban und die Hexe“ in der Literatur zur Zeit der Hexenverbrennungen vorfand. In der Freikorpsliteratur wird immer wieder von der erotischen, gefährlichen „roten Frau“ und vom mit „verschlingender Weiblichkeit“ ausgestatteten „Flintenweib“ gesprochen. Im Gegensatz dazu steht das Bild der „deutschen, weißen Krankenschwester“, die von jeglicher Erotik abgekapselt und als Mutterfigur angesehen wird. Die Angst vor der eigenen sexuellen Empfindung ist konstitutiv für den bedrohten Körperpanzers des soldatischen Mannes.

Theweleits Analyse entspricht keiner gewöhnlichen wissenschaftlichen Prosa, sie weist eine hohe, erschreckende und perverse Literarizität aus: vielleicht auch deswegen, da sich das Wesen des faschistischen Mannes nur in dieser Deutlichkeit schildern lässt. Es ist jedenfalls ein hoher Verdienst von Theweleit, dass er mit seiner Arbeit zu den „Männerphantasien“ nicht nur erstmals den Fokus auf das Männerbild des Faschismus gesetzt hat, sondern insgesamt eine der ersten Arbeiten der kritischen Männlichkeitsforschung vorgelegt hat.

 

Was nun?

In den letzten Jahren ist es etwas still um die psychoanalytische Faschismustheorie geworden, was vermutlich auch mit der zunehmenden Marginalisierung der Psychoanalyse im transdisziplinären akademischen Feld zu tun hat. Es stellt sich nun die Frage, wie wir mit diesen doch sehr eigenwilligen Theorien des Faschismus umgehen sollen. 

Als Marxist*innen wissen wir, dass wir Phänomene wie den Faschismus nicht abgekapselt von den materiellen Umständen und den Klassenverhältnissen im Kapitalismus betrachten können. Auch wenn es sich beim Großteil der vorgestellten Autoren (mit Ausnahme von Freud und wahrscheinlich auch Theweleit) um Marxisten handelt, wirken deren Analysen auf den ersten Blick befremdlich. Die Analyse ökonomischer Verhältnisse lässt in diesem Zweig der Faschismustheorie definitiv zu wünschen übrig. Es ist ebenfalls bezeichnend, dass in der psychoanalytischen Faschismustheorie kaum eine feministische Perspektive eingenommen wird, ebenso wenig gibt es bekannte Studien und Texte zu dem Thema, die von Frauen verfasst wurden – ein Umstand, der wohl eher mit der Psychoanalyse als mit der marxistischen Theorie zu tun hat, da sich konkret-feministischen Perspektiven in der psychoanalytischen Gesellschaftstheorie erst ab den 1970er Jahren durchgesetzt haben. Dennoch dürfen wir nicht den Fehler begehen, diese doch sehr einflussreichen Theorien sofort ad acta zu legen, nur weil sie auf den ersten Blick nicht der orthodoxen marxistischen Theorien entsprechen.

Faschist*in wird man nicht von einem auf den anderen Tag. Es gehören komplexe, innerpsychische Dynamiken dazu, um sich in ein solches System integrieren zu können und zu wollen. Dasselbe gilt übrigens auch für den Kapitalismus, hierzu gibt es bis heute zahlreiche lesenswerte psychoanalytische Untersuchungen, die einen strenger materialistischen und auch feministischen Weg einschlagen.

Es ist jedenfalls lohnenswert, sich den Faschismus nicht nur aus einer politökonomischen oder soziologischen, sondern auch aus einer „psychologischen“ Perspektive anzusehen, wenn man tatsächlich daran interessiert ist, das Wesen des Faschismus – und wenn auch nur im Ansatz – zu begreifen. Und gerade in Zeiten eines aufsteigenden Rechtsextremismus müssen wir auch versuchen zu verstehen, welche komplexen libidinösen Ökonomien in den Subjekten selbst verankert sind – denn nur dann können antifaschistische Strategien wirklich wirksam sein. 

 

Literaturhinweise

Adorno, Theodor W. (1995): Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 12. Auflage.

Fromm, Erich (2019): Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches: Eine sozialpsychologische Untersuchung. Gießen: Psychosozial Verlag.

Freud, Sigmund (2015): Massenpsychologie und Ich-Analyse. Die Zukunft einer Illusion. Frankfurt am Main: Fischer. 10. Auflage.

Reich, Wilhelm (1971): Massenpsychologie des Faschismus. Köln: KiWi. 8. Auflage.

Theweleit, Klaus (2019): Männerphantasien. Berlin: Matthes & Seitz. 2. überarbeitete Auflage.

Wörsching, Mathias (2021): „Psychoanalytische Faschismustheorien: Reich, Fromm, Adorno, Theweleit“, in: Ders. (2021): Faschismustheorien. Überblick und Einführung. Stuttgart: Schmetterling Verlag. 2. Auflage. S. 123 – 137.