Contra: Linker Heimatbegriff

Roger Huber

Diskurse innerhalb der politischen Linken drehen sich immer wieder um die Besetzung eines linken Heimatbegriffs. Dabei werden immer wieder Forderungen danach laut, man möge den Begriff „progressiv“ umdeuten oder „zurückholen“. Die Idee dahinter: Wenn wir die Deutungshoheit über „Heimat“ gewinnen, dann entreißen wir den Rechten ein zentrales identitätspolitisches Werkzeug und können ein neues, solidarisches Wir-Gefühl schaffen. Das klingt nach einer netten Strategie, aber beinhaltet einen gravierenden Denkfehler.

(Dieser Artikel ist ein Teil der “Pro und Contra”-Debatte zum Thema “Linker Heimatbegriff”. Den Pro-Artikel von Eva Reiter könnt ihr hier lesen.) 

Heimat ist kein britisches Modelabel, das man einfach umdeuten kann. Heimat ist tief in nationalen, oft auch völkischen Vorstellungen verwurzelt, welche alle auf Abgrenzung von anderen Gruppen basieren. Sie ist ein historisch aufgeladenes Konzept, welches die Narben seiner Geschichte trägt – egal wie progressiv und fortschrittlich sie umgedeutet werden soll. Wer sich in so einen Diskurs einbauen möchte, wird nicht Deutungshoheit gewinnen, sondern sich selbst die Scheuklappen der Heimat aufsetzen.

Die falsche Schlacht

Gramsci schrieb, dass politische Kämpfe auch immer Kämpfe um Hegemonie sind. Wer die Hegemonie besitzt, setzt auch den Diskussionsrahmen. Hierin liegen Unsinn und Gefahr der linken Besetzung des Heimatbegriffs. Wer „Heimat“ übernimmt, übernimmt auch die Grenzen dieses Begriffs. Eine Erzählung findet nicht mehr über Klassenverhältnisse, Eigentum oder Kapitalismus statt, sondern über Zugehörigkeit. Es wird nicht mehr über globale Ausbeutungsstrukturen gesprochen, sondern darüber, wie man „den Wirtschaftsstandort Österreich“ schützen kann. Wer diesen Pfad einmal einschlägt, wird ihn nicht mehr verlassen können, da er das Ausspielen von Arbeiter*innen gegeneinander impliziert. Heimat ist ein Konzept, das immer eine Grenze braucht: zwischen denen, die dazugehören, und denen, die es nicht tun. Die Rechte hat diese Grenze schon immer entlang von Nation, Sprache und Ethnie gezogen. 
Und die Linke? Sie versucht nun, sie entlang von „solidarischem Zusammenhalt“ oder „Sozialstaatspatriotismus“ zu ziehen. Doch was bedeutet das? Wer gehört dann zur „linken Heimat“ – und wer nicht? Und wie lange dauert es, bis dieses neue Heimatverständnis ebenfalls zu einem Ausschlussmechanismus wird? Spätestens wenn in Krisenzeiten schlechtere Löhne mit dem „Schutz von Arbeitsplätzen“ legitimiert werden, zeigt sich, wie schnell die Grenze wieder reaktionär wird.

„Die Arbeiter haben kein Vaterland“

Marx & Engels schrieben im Kommunistischen Manifest: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Und das war nicht als theoretischer Wunsch gemeint, sondern als eine Feststellung. Denn Heimat, Nation und Identität sind keine Konzepte, die den Lohnabhängigen gehören – sie gehören dem Kapital.

Wenn ein Konzern seine Produktion ins Ausland verlagert, dann spielt „Heimat“ keine Rolle. Wenn eine Fabrik schließt, dann sind die „eigenen Leute“ nicht mehr von Belang. Wenn eine Bank gerettet werden muss, dann spielt nationale Solidarität keine Rolle mehr. Wer heute für einen linken Heimatbegriff kämpft, spielt in einem Spiel, dessen Regeln von anderen gemacht wurden.

Die wahre Alternative wäre, dieses Spiel nicht mitzuspielen. Denn anstatt zu versuchen, „Heimat“ zu besetzen, sollten wir den Begriff verlernen. Anstatt die Frage zu stellen, wie Heimat definiert werden soll, sollten wir uns lieber fragen: „Brauchen wir Heimat überhaupt?“ Was eine emanzipatorische Linke wirklich braucht, ist keine national-romantische Vorstellung von Heimat, sondern eine klare Vision einer Gesellschaft, in der Menschen nicht durch Geburt, Sprache oder Wohnort definiert werden – sondern durch ihre Position im Verhältnis zu Kapital und Arbeit.

Solidarität im Kollektiv, nicht als Gefühl der Heimat 

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass Solidarität aus der Heimat erwächst. Menschen stehen füreinander ein, nicht aufgrund ihrer gemeinsamen Geburt im selben Land, sondern wegen ähnlicher Lebensrealitäten. Eine Pflegekraft in Linz hat mehr Gemeinsamkeiten mit einer Krankenschwester in Belgrad als mit dem Immobilienmakler, der in seiner teuren Penthouse-Wohnung in Wien-Josefstadt lebt. Ein Industriearbeiter in Graz hat mehr mit einem Minenarbeiter in Chile als mit einem FPÖ-Politiker, der von „österreichischen Werten“ spricht, gemein. Eine alleinerziehende Mutter in Innsbruck steht vor den gleichen Herausforderungen wie eine in Marseille oder Valencia: unbezahlte Care-Arbeit, fehlende Kinderbetreuung und Lohndiskriminierung.

Wenn linke Parteien versuchen, mit nationalen Symbolen emotionale Bindung aufzubauen, laufen sie nicht nur Gefahr, rechte Narrative zu legitimieren – sie verlieren damit auch ihren eigenen politischen Kern."

Der Mythos der Heimat als Wahlkampfschlager


Die Vorstellung, dass sozialdemokratische Parteien durch Heimatsymbolik Wähler*innen gewinnen könnten, hat sich als Illusion erwiesen. Wenn linke Parteien versuchen, mit nationalen Symbolen emotionale Bindung aufzubauen, laufen sie nicht nur Gefahr, rechte Narrative zu legitimieren – sie verlieren damit auch ihren eigenen politischen Kern. Ein Blick auf die Wahlkämpfe der letzten Jahre zeigt, dass diese Strategie bereits oft angewandt wurde, aber immer versagt hat.

2013 setzte die SPÖ im österreichischen Nationalratswahlkampf unter Werner Faymann auf rot-weiß-rote Plakate, auf denen die österreichische Fahne dominant inszeniert wurde. Die Botschaft war klar: Hier steht eine Partei für das Land, für die Heimat. Doch die Wähler:innen kauften ihr diese Inszenierung nicht ab – die SPÖ fuhr mit 26,8 % ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis in der Zweiten Republik ein. Die rot-weiß-rote Symbolik konnte nichts retten, sondern verstärkte nur die Unentschlossenheit einer Partei, die versuchte, auf zwei Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen: einerseits progressive Politik zu vertreten, andererseits mit nationaler Identität zu kokettieren.

Dasselbe wiederholt sich nun in Deutschland. In ihrer Kampagne zur Bundestagswahl 2025 setzte die SPD auf die Deutschlandfahne und den Slogan „Mehr für Dich. Besser für Deutschland.“ Doch während die Sozialdemokratie die nationale Karte spielte, blieb der erhoffte Zuspruch aus. Wer die Heimatfrage stellt, liefert sich selbst zum Abschuss an – denn die Antwort darauf wird von rechts längst gegeben. Die Wähler:innen entscheiden sich am Ende für das Original, nicht für die verwässerte Kopie.

Heimat ist nicht links, war nie links, wird nie links sein

Die Idee, den Heimatbegriff von rechts zu entreißen, klingt verlockend. Doch es ist eine Sackgasse, die nirgendwohin führt. Heimat ist ein Konzept, das in den Kategorien von Nation und Zugehörigkeit denkt – und das ist nicht die Perspektive der Linken.

Wir sollten den Rechten nicht nachlaufen, indem wir versuchen, ihre Begriffe für uns zu reklamieren. Wir sollten ihnen die Grundlage entziehen. Denn Heimat ist nicht links, war nie links, wird nie links sein.