Contra: Direkte Demokratie
Eva Reiter
Als Sozialist*innen müssen wir uns immer bewusst sein, dass es in einem kapitalistischen System nie eine vollwertige Demokratie geben kann und wird. Widersprüche, die dadurch entstehen, lassen sich nicht unbedingt durch mehr Volksabstimmungen lösen.
(Dieser Artikel ist ein Teil der “Pro und Contra”-Debatte zum Thema “Direkte Demokratie”. Den Pro-Artikel von Fabian Zickler könnt ihr hier lesen.)
Die Intention von direkter Demokratie ist die Stärkung der Mitbestimmung. Es ist klar, dass es darum geht, die Demokratie auszubauen, zu erweitern und eben noch ein Stück demokratischer zu machen.
Doch trotz dem ehrlichen guten Gedanken, bedeutet direkte Demokratie nicht immer automatisch mehr Demokratie. Denken wir an ein sehr praktisches, oft genanntes Beispiel, nämlich jenes der Schweiz, so werden uns als erstes die vielen Volksabstimmung einfallen. Hierbei sollen Entscheidungen nicht bloß in Parlamenten von einigen Abgeordneten getroffen werden. Stattdessen geht es darum, das gesamte Volk – Millionen von Menschen - einzubinden. Vermeintlich werden dadurch bessere Entscheidungen im Sinne des Allgemeinwohls getroffen. Korrupte Abgeordnete, die fallweise Gesetze nach Spender*inneninteressen bzw. deren Eigeninteressen treffen, sollen dadurch ausgehebelt werden. All das sind sinnvolle Überlegungen. Jedoch lassen sie die Tücken und Gefahren eines solchen Systems außen vor. In Wahrheit bedeutet direkte Demokratie nämlich nicht gleich mehr Demokratie.
Denn nicht nur Abgeordnete sondern auch die Zivilbevölkerung sind beeinflussbar! Mitunter kann eine große Menge an Menschen – also die gesamte Bevölkerung sogar vulnerabler gegenüber Beeinflussung als sein als ein kleinerer Kreis an Abgeordneten. Und Menschen treffen nicht, nur weil sie Menschen sind, automatisch Entscheidungen, die fürs Gemeinwohl von Vorteil sind. So stehen wir bspw. in Österreich vor der Situation eines großen Rassismusproblems. Wäre ein Antidiskriminierungsgesetz auch per Volksabstimmung positiv entschieden worden? Wir wissen, welch Hass und Hetze auch in unseren Parlamentsreihen stattfindet, doch Parlamente sind nicht mehr oder weniger rassistisch als die Bevölkerung, welche sie wählt.
Außerdem gibt es auch Fragestellungen für die Fachexpertise gebraucht wird. So kann es bei Klimaschutzgesetzen zB. sehr wichtig sein, sich mit den genauen Maßnahmen auseinanderzusetzen. Selten oder gar nicht wird es Abstimmungen geben die lauten werden „Für mehr Klimaschutz: ja oder nein?“. Ganz im Gegenteil: Gesetzgebung ist komplex und wie sinnvoll sie ist, liegt an der konkreten Ausgestaltung. Der Anspruch, dass sich die Bevölkerung alle paar Wochen/Monate – je nachdem wie oft direkte Demokratie stattfinden soll – mit einem neuen Thema im Detail befassen soll, ist unrealistisch. Wie löst man also diesen Missstand? Die Frage nach der Umsetzbarkeit kommt in Debatten oft viel zu kurz.
Zudem haben viele Personen erst gar nicht die Möglichkeiten, sich vor jeder Volksbefragung mit allen Themen zu befassen. Zum einen muss man hier also die Sinnhaftigkeit diskutieren: ist es wirklich besser Millionen von Menschen versuchen sich mit Themen zu befassen? Oder wäre es nicht doch sinnvoller dies vertrauenswürdigen Personen, die hauptberuflich den Auftrag haben, dies zu tun, zu überlassen?
“Der Unterschied, den die Ressourcenfrage macht, könnte sich während solchen Phasen massiv zuspitzen und ein Gegenteil des erwünschten Effekts haben. Erst recht würden Reiche die Überhand haben."
In Österreich lässt auch immer wieder die FPÖ besonders gerne „mehr direkte Demokratie“ plakatieren. Wie allgemein bekannt steht die FPÖ als rechtsextreme Partei aber nicht für mehr Demokratie, sondern deren Ideologie entsprechend für ein autoritäreres System. An diesem Punkt muss auf die nächste Schwäche einer direkten Demokratie hingewiesen werden: es gibt eine höhere Anfälligkeit, dass populistische Politik Einfluss nehmen kann. Selbstverständlich würden Parteien wie die FPÖ diesen Umstand ausnutzen, um für komplexe Probleme leichte Lösungen zu präsentieren. Dabei würden sie wie gewohnt ihre Sündenbockpolitik betreiben. Politik wird dadurch noch viel mehr als jetzt schon zu einer Mobilisierungsfrage. Dann geht es darum, ob die FPÖ schneller ist ihre Hetze zu verbreiten, oder die Linke, um den Blödsinn aufzudecken und in derselben Zeit mehr Leute zu überzeugen. Unter diesen Bedingungen mehr Leute einzubinden kann beim derzeitigen politischen Klima bedeuten, dass Minderheiten noch mehr gefährdet sind, weil der Diskurs sich verschärft.
Vor allem darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass bürgerliche Parteien oder Initiativen – wie auch immer dann festgelegt wird, wer Volksabstimmungen initiieren darf – zumeist bessere monetäre Ressourcen haben als Sozialist*innen. Während wir als Sozialistische Jugend uns hauptsächlich mit Ehrenamtlichen organisieren und Unterschriften sammeln würden, etc. könnten Rechtskonservative und -extreme, die ihr Geld von Großspender*innen erhalten, sich Personal bezahlen, die diese Arbeit übernehmen würden. Vor Volksabstimmungen, wo es zB. um die Besteuerung von Reichen geht, würden David gegen Goliath- Situationen entstehen. Letztendlich geht es um mediale Präsenz, die bis zu einem gewissen Grad leider käuflich ist und auch darum, bei vielen Straßenaktionen man mit möglichst vielen Passant*innen in Kontakt kommt. Der Unterschied, den die Ressourcenfrage macht, könnte sich während solchen Phasen massiv zuspitzen und ein Gegenteil des erwünschten Effekts haben. Erst recht würden Reiche die Überhand haben. Hierfür braucht es Lösungen und Regeln die oftmals in der Debatte nach mehr direkter Demokratie zu kurz kommen.
Was uns zu einem weiteren Punkt bringt: Das derzeitige System, in dem wir leben, ist eine parlamentarische Demokratie. In unserer Verfassung ist klar festgelegt, dass die Macht vom Volk ausgeht, doch all unsere Institutionen machen eine repräsentative parlamentarische Demokratie aus. Ja, die Macht geht vom Volk aus, aber organisiert wird diese über Abgeordnete, die in demokratischen Wahlen erwählt wurden, um deren Wähler*innen zu vertreten.
Laut aktueller Auffassung sitzt das Volk im Parlament: denn aus allen Regionen werden Personen gewählt, um deren Wähler*innen zu repräsentieren. Forderungen wie „mehr direkte Demokratie“ würden in Österreich unseren gesamten Staat und wie er aktuell aufgebaut ist, grundlegend verändern. Welche Berechtigung haben dann noch Abgeordnete? Welche Entscheidungen dürfen in Parlamenten getroffen werden und welche würden per Volksentscheid getroffen werden? Wer entscheidet bzw. wo wird festgelegt, ab wann politische Entscheidungen in Parlamenten und wann nicht getroffen werden? Wenn wir festlegen, dass mehr Entscheidungen durch das Volk getroffen werden sollen und weniger in Parlamenten, kommen wir nicht darum herum, zu behaupten, dass Parlamentariar*innen nicht das Volk sind. Dies hätte weitrechende Konsequenzen.
Fordert man mehr direkte Demokratie ein, ist es jedenfalls wichtig, sich die Intention dahinter vor Augen zu führen und zu überlegen, ob das vorgestellte Ziel dadurch tatsächlich erreicht oder sogar verfehlt wird. Als Sozialist*innen müssen wir uns immer bewusst sein, dass es in einem kapitalistischen System nie eine vollwertige Demokratie geben kann und wird. Widersprüche, die dadurch entstehen, lassen sich nicht unbedingt durch mehr Volksabstimmungen lösen. Stattdessen muss das Problem bei der Wurzel gepackt werden und eine gänzlich neue Gesellschaftsordnung aufgebaut werden, denn nur so werden wir verhindern können, dass Politik käuflich ist.